Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens (K)ein Maria- Theresien-Orden für Snowden

(K)ein Maria- Theresien-Orden für Snowden

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Österreich hat auf österreichische Weise zu Edward Snowden Stellung genommen: Man würde ihn nicht ausliefern, demonstrierte ein Sprecher Michael Spindeleggers Solidarität mit dem medialen Helden selbst der „Krone“-Leser. Freilich nur, nachdem Innenministerin Johanna Mikl- Leitner klargestellt hatte, dass sein Asylantrag sowieso nicht behandelt werden könnte, weil er zu diesem Zweck in Österreich einreisen müsste. Gefahren, die nicht eintreten können, begegnet die Regierung furchtlos.

Wahrscheinlich kann man angesichts der Brutalität, mit denen die USA in dieser Causa agieren, auch schwer etwas anderes fordern. Es gibt unter den gegebenen Umständen eigentlich nur eine sowohl durchführbare wie zumutbare politische Aktion: Österreich könnte zu einer gemeinsamen Erklärung möglichst vieler EU-Staaten – darunter jedenfalls Deutschland und Frankreich – anregen, mit der jeder dieser Staaten Snowden Asyl anböte. Aber das spielt’s nicht: Faymann & Spindelegger halten sich an Mikl-Leitner. Und kein anderes EU-Land machte mit. Eine gemeinsame Linie gegenüber den USA ist schon durch England, Italien oder Polen undenkbar. Und mehr als Empörung vor laufenden Kameras ist auch bei den anderen nicht drin. Die Überflugverweigerung für eine Maschine, die theoretisch in der Lage gewesen wäre, Snowden in Sicherheit zu bringen, zeigt, wie sehr man sich US-Wünschen beugt.

Auch wenn ganz offen etwas Ungeheuerliches geschieht: Ein Mensch, der Vorgänge aufgedeckt hat, die durch kein Gesetz legitimiert sind, der US-Verfassung und dem Völkerrecht widersprechen, wird dafür nicht ausgezeichnet, sondern verfolgt, gehetzt, zu womöglich lebenslangem Ver­stecken gezwungen.

Das müsste, wenn es die Zivilgesellschaft gäbe, jedem „Bürger“ den Schlaf rauben. Das müsste jeder Journalist wütend anprangern. Das müsste jedem, der sich der Gerechtigkeit nur einigermaßen verpflichtet fühlt, völlig unerträglich sein. Mir ist es unerträglich, obwohl ich es nicht einmal rasend unerträglich finde, vom US-Geheimdienst überwacht zu werden. Orwells Vision vom total überwachten und manipulierten Bürger innerhalb eines autoritären Superstaates erfüllt mich nicht mit ausreichendem Schrecken, solange ich nicht mit konkreten aus dieser Überwachung resultierenden Aktivitäten konfrontiert bin. (Zumal ich die USA auch weiterhin nicht für einen „autoritären Staat“ halte.)

Ich glaube vor allem nicht an den Sieg der Überwachung: Letztlich steht der gewaltigen elektronischen Maschinerie der Geheimdienste die noch viel gewaltigere Zahl elektronischer Kommunikationsmedien gegenüber: Die Bürger können sich rascher zu Demonstrationen (die Attentäter rascher zu Aktionen) verabreden, als die Geheimdienste im Wege der Auswertung von Milliarden Informationen darauf reagieren können. (Bekanntlich hat der US-Geheimdienst ja nicht einmal die fertige Boston-Information seiner russischen Schwesterorganisation erfolgreich genutzt.)
Die US-Überwachung als solche regt mich nicht über die Maßen auf – mich empört nur maßlos, dass der verfolgt wird, der sie aufgezeigt hat.

Dabei anerkenne ich sogar, dass man ein paar Argumente zu ihrer Rechtfertigung vorbringen kann: Vielleicht kann man tatsächlich die eine oder andere terroristische Zelle früher entdecken. Und natürlich ist es unter dieser Annahme sinnvoll, auch befreundete Staaten wie Frankreich oder Deutschland zu überwachen – schließlich sind solche Zellen seinerzeit gerade in Deutschland zu Hause gewesen.

Aber es geht mir darum, dass dergleichen in zivilisierten Staaten demokratisch legitimiert und unter zivilisierten Staaten einvernehmlich vereinbart sein muss: Der US-Präsident hat sein Parlament klar verständlich zu fragen, ob es dieser universellen elektronischen Überwachung zum Zweck der Abwehr terroristischer Aktivitäten zustimmt – und die gleiche Frage hat er an Österreich, Deutschland oder Frankreich zu richten. Vielleicht sagen alle Beteiligten Ja. Nicht zu fragen ist undemokratisch und widerspricht der US-Verfassung wie dem Völkerrecht.
Den USA zu drohen, dass die EU das geplante Freihandelsabkommen nicht verhandeln wird, ist leeres Gerede für die Galerie: Beide Volkswirtschaften brauchen dieses Abkommen und werden es – hoffentlich – schließen.
Auch jede andere Drohung gegen die einzige verbliebene Supermacht ist sinnlos: Sie wird weiterhin tun, was sie will.

Das einzige, was die EU demonstrieren könnte und theo-retisch müsste, wenn sie sich als Wertgemeinschaft begreift, wäre ihr Bekenntnis zur humanistischen Tradition Europas (und normalerweise auch der USA): nicht zu akzeptieren, dass ein Mensch, der Unrecht aufzeigt, dafür verfolgt wird, sondern klarzustellen, dass ihm Dank gebührt. In Wirklichkeit wäre Snowden der derzeit würdigste Kandidat hoher staatlicher Auszeichnungen: Ein aufgeklärter Monarch verliehe ihm den Maria-Theresien-Orden. Aber Europa fühlt sich der Aufklärung (in jeder Bedeutung dieses Wortes) offenbar nicht verpflichtet.

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