Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens: Kurz und bündig

Die Gründe dafür, dass die „Liste Kurz – die neue ÖVP“ am 15. Oktober die besten Karten hat.

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Dies ist mein letzter profil-Kommentar. Ich nutze ihn zu einer Prognose: Sebastian Kurz wird die Wahlen im Oktober vor Christan Kern als Zweitem gewinnen. Gemäß den Umfragedaten, die profil erst im April erheben ließ („Der Kanzler und der Anwärter“), hat er bei der Bevölkerung – ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt – das klar bessere Image: Man hält ihn für stärker „vertrauenswürdig“, vermutet bei ihm „Verständnis für die Sorgen der Menschen“, traut ihm eher zu, „die richtigen Lösungsvorschläge“ zu kennen und „für das Land etwas weiterzubringen“.

Dass er die Ketten, an die Landesfürsten und „Bünde“ VP-Obmänner bisher legten, so blitzartig gesprengt hat, krönt das „Macher“-Image, das ihm die Schließung der Balkan-Route beschert hat. Und durch die Anleihen bei Emmanuel Macron hat er sich, wie dieser, vom Ballast der ÖVP-Vergangenheit befreit und Hoffnung auf Aufbruch und unverbrauchte „beste Köpfe“ gemacht.

Neben der „Liste“ des Dreißigjährigen sehen SPÖ und FPÖ plötzlich alt aus.

Gleichzeitig schöpft er aus dem größten Wählerreservoir. Die Mehrheit der Österreicher stand immer rechts – ÖVP und FPÖ hatten stets die Wählermehrheit. Bruno Kreisky konnte sie nur brechen, indem er rechts gewildert hat. Kurz muss nicht wildern – er führt mit der ÖVP die erstgeborene rechte Partei. Die NEOS sind eine modernisierte Abspaltung davon, und ihre Wähler werden heimkehren, denn die „Liste Kurz“ ist modischer. Ähnlich dürften etliche bürgerliche Grüne heimkehren. Dazu wird Kurz all die FP-Wähler gewinnen, die zwar protestieren wollen und die Grenz-Sperr-Rhetorik Heinz-Christian Straches schätzen, aber nicht wirklich von ihm regiert werden wollen.

Kurz kann alles lose Fett von der FPÖ absaugen.

Es ist das der Hauptgrund dafür, dass Strache eigentlich eine Koalition mit der SPÖ vorzöge, in der er das Monopol auf „rechts“ hätte – die blaue Schrumpfung unter der Kanzlerschaft Wolfgang Schüssels ist ihm nur zu schmerzhaft in Erinnerung. Deshalb gibt es unverändert die Chance, dass die FPÖ doch die Koalition mit der SPÖ sucht. Aber wenn die ÖVP, wie ich vermute, Nr. 1 wird, wird das für Strache schwierig. Nicht nur hat er stets behauptet, dass das Kanzleramt dem Wahlsieger zustünde, sondern vor allem kann Kurz ihm drohen, dann eben doch mit der SPÖ zu regieren.

Anders als viele Kollegen bin ich nicht der Ansicht, dass die letzten SP-geführten Regierungen nur gestritten und nichts geleistet hätten.

Ich persönlich werde (nach heutigem Wissensstand) SPÖ wählen. (Die Einschränkung beruht darauf, dass andere Parteien mich noch durch neue Programme verunsichern können.) Denn ich halte Kern für den wirtschaftlich Kompetenteren: Er weiß, dass es nicht allen besser geht, wenn es reichen Unternehmern besser geht – die ÖVP weiß das nicht. Er begreift den Widersinn des Spar-Pakts – die ÖVP nicht. Er weiß um die Problematik der „Lohnzurückhaltung“ und des deutschen Handelsbilanzüberschusses – die ÖVP nicht. Ihm ist klar, dass man Sozialleistungen nicht mehr auf der Basis der Beschäftigtenzahl finanzieren kann, wenn die sich durch Automatisierung und Digitalisierung zwingend vermindert – die ÖVP nicht. Und natürlich weiß er, im Gegensatz zur ÖVP, dass Steuern auf Vermögen leistungsfreundlicher als Steuern auf Arbeit sind.

Anders als viele Kollegen und die breite Öffentlichkeit halte ich auch Hans Jörg Schelling für keinen brillanten Finanzminister. Er hat die steuerliche Entlastung zu zögerlich durchgeführt und damit die konjunkturelle Erholung erschwert; und seine Behauptung, dass die Erbschaftssteuer mehr koste, als sie einbringt, entlarvt ihn entweder als maßlos ahnungslos oder (eher) als jemanden, der Wissen jederzeit der Parteilinie unterordnet.

Anders als viele Kollegen bin ich auch nicht der Ansicht, dass die letzten SP-geführten Regierungen nur gestritten und nichts geleistet hätten: Sie haben die schwerste Wirtschaftskrise seit 1929 – nicht zuletzt dank der für „überholt“ erklärten Sozialpartnerschaft – mit weniger Einbuße an Wachstum und Zuwachs an Verschuldung als im Rest der EU überwunden. Und bis heute ist Österreich hinter Holland und zwei Steueroasen (Luxemburg, Irland) das wirtschaftlich leistungsfähigste EU-Mitglied. Der Abstand zu Holland hat sich verringert, der Vorsprung zum EU-Durchschnitt vergrößert. Die industrielle Produktion ist stärker als in Deutschland gewachsen. Die Arbeitslosigkeit ist nur deshalb größer, weil auch Österreichs Bevölkerung stärker gewachsen ist, und geht außerdem aktuell zurück.

Ich halte die aktuelle Regierung daher nicht für schlecht, sondern für schlechtgemacht. (Voran durch Christoph-„Abgesandelt“-Leitl).

So weit die gesicherten Grundlagen meiner Entscheidung. Dazu kommt meine allgemeine Zuneigung zum jeweiligen Außenseiter und die leise Sorge, dass Kurz doch mehr von der Weltsicht Straches teilen könnte.

Damit verabschiede ich mich von meinen Lesern und danke ihnen für ihr Interesse. Ab Mitte Juni kommentiere ich (mit aufrechter Sympathie für profil) wöchentlich im „Falter“ und stets auf lingens-online.