Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Liftstopp

Liftstopp

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Der vorletzte Tag des Jahres 2011 hat mir ein kulturelles Highlight beschert: die Aufführung der Komödie „Liftstopp“ von Elfriede Hammerl. Ich wusste, dass es ein gutes Stück sein würde, aber es war mehr: ein sensationelles Stück, das hymnische Rezensionen verdiente. Eine – freundliche – hat es erhalten.

Dabei reicht „Liftstopp“ durchaus an jenen „Gott des Gemetzels“ heran, der derzeit an allen großen Bühnen der Welt Triumphe feiert. Und auch die Aufführungen an der „Freien Bühne Wieden“ mussten den Vergleich nicht scheuen: Anita Kolbert und Robert Ritter wären auch an der „Burg“ eine perfekte Besetzung. Nur dass ihnen an der „Wieden“ maximal 100 Zuschauer applaudieren konnten.

Die beiden Stücke teilen die aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Sind es in Yasmina Rezas „Gemetzel“ zwei Ehepaare, die sich im gutbürgerlichen Salon Satz für Satz entblößen, so legen bei Elfriede Hammerl eine alternde, erfolglose Schauspielerin und ein junger, schwuler „Ausländer“ im stecken gebliebenen Aufzug die Masken ab. Sie drängt ihm ihre triste Lebensgeschichte auf – er versucht vergeblich, sich nur aufs eigene Unglück zu konzentrieren: Weil seine Job-Bewerbung zum x-ten Mal gescheitert ist und sein Geliebter eine Stellung in Japan angenommen hat, will er sich aus dem 15. Stock stürzen.

Diese Tragödie erzählt „Liftstopp“ so, dass man aus dem Lachen nicht herauskommt: als Kettenreaktion einander gegenseitig entzündender Pointen. Das könnte schiefgehen, wenn man vor lauter Pointen die Handlung nicht mehr sähe – aber die ist immer gegenwärtig und strebt (anders als beim ernüchternden „Gemetzel“) einem berührenden Höhepunkt zu: Die Tränen, die man lacht, sind plötzlich echt. Etwas Besseres kann man über eine Tragikomödie nicht sagen.

Woran liegt es, dass Yasmina Reza mit ihrem „Gemetzel“ Welterfolge feiert, während Elfriede Hammerl allenfalls erlebt, dass „Liftstopp“ von einer kleinen Linzer Bühne übernommen wird? Sicher am Zufall – aber nicht ganz.

Reza war, als sie zu schreiben begann, eine bekannte Schauspielerin, mit interessantem sephardisch-persischem Background in der Weltstadt Paris, die ihr sofort den Prix Molière verlieh – Hammerl lebt ohne Background im Weltdorf Wien. Dass sie eine bekannte Journalistin ist, gereicht ihr zum Nachteil: Anders als in Frankreich oder den USA wird bei uns argwöhnisch zwischen Journalismus und „Literatur“ unterschieden. Wer „Dichter“ sein will, muss sich rechtzeitig vom Journalismus trennen – wie Daniel Glattauer, dem mit 44 Jahren ein Bestseller gegen den ewigen Nordwind gelang.

Hammerls „Liftstopp“ ist um nichts schlechter – aber sie ist bald zwanzig Jahre älter. Es gibt auch in der Literatur ­einen Jugendkult: Theaterkritiker (Verleger, Intendanten) ernten keinen Ruhm, wenn sie Sechzigjährige entdecken.

Sie besuchen ihr Stück erst gar nicht. Die besseren Zeitungen können sich weder genügend Journalisten noch genügend Seiten leisten, und die Zeiten, in denen die „Krone“ einen Hans Weigel zu bieten hatte, sind lange vorbei. Dazu kommt die „Quote“: Lieber erregt man sich auf einer vollen Seite über eine „prominente“ Inszenierung von Schnitzlers „Weitem Land“ an der „Burg“, als diesen Platz fünf Aufführungen kleiner Bühnen zu widmen. Selbst Schnitzlers „Der einsame Weg“ in einer jämmerlichen Aufführung des Wiener Volkstheaters wurde im „Standard“ über eine Seite gepriesen, weil es um das selten gespielte Stück eines anerkannten Autors in der Inszenierung eines „progressiven“ Regisseurs gegangen ist. (Auch große Dichter ­haben gelegentlich mäßige Stücke geschrieben – nur dass selbstbewusste Dramaturgen sie zu Recht negieren.)

Ich habe Oscar Bronner geschrieben, er sollte sich in die Aufführung setzen, um die Qualität der Kulturkritik zu prüfen – aber mit 72 war ich ihm keine Antwort mehr wert, und die gemeinsame profil-Zeit liegt 37 Jahre zurück.

Weil ich so alt bin, erinnere ich mich noch an die Theaterkritiken eines Friedrich Torberg, Hans Weigel oder Franz Schuh und konstatiere in Bezug auf die Gegenwart einen ähnlichen Abstieg wie den von Bruno Kreisky zu Werner ­Faymann.

Am ehesten hätte ich im „Falter“ eine „Liftstopp“-Rezension erwartet: Auf Rotationspapier ist Platz genug. Doch Hammerls Texte sind vermutlich nicht genügend „in“: Sie „entlarven“ und „provozieren“ niemanden. Die alternde Schauspielerin und der junge Schwule in „Liftstopp“ sind nicht einmal „symptomatisch“ – wenn man davon absieht, dass sie niemandem abgehen.

Wie sie einander in ihrer Einsamkeit erkennen – in alten Texten stand „erkennen“ für lieben –, ist die berührende Botschaft des Stücks. Theoretisch könnten auch Dramaturgen der „Josefstadt“ oder „Burg“ es angesehen haben. Aber wenn keine Zeitung sie aufmerksam macht, finden sie nicht die Zeit. Sie agieren eher wie die Sportdirektoren von Red Bull Salzburg, die lieber Altstars einkaufen, als kleine Fußballplätze nach Talenten abzusuchen. Und selbst wenn sie es anders hielten – was fingen sie mit einer Sechzigjährigen an?

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