Peter Michael Lingens: Madig in Austria

Peter Michael Lingens: Madig in Austria

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Österreich hat das niedrigste Wachstum der EUDeutschland im vierten Quartal das höchste. Beides ist leicht zu erklären:

Deutschland profitiert davon, dass seine Reallöhne nach 15 Jahren „Lohnzurückhaltung“ endlich massiv steigen und die innerdeutsche Kaufkraft erhöhen. Hinzu kommt in aller Stille, dass die Schweiz als größter Konkurrent beim Verkauf von Werkzeugmaschinen wegen des teuren Franken Großaufträge an Deutschland verliert. Auch sonst bevorzugt der niedrige Euro-Kurs den „Export-Weltmeister“. In Österreich hat eine Abfolge extrem unfähiger ÖVP-­Finanzminister die steuerliche Entlastung der Bürger derart verzögert, dass die Binnenkaufkraft als Stütze der Konjunktur weggefallen ist.

Das geplante Einhalten des Sparpaktes behindert weiterhin auch den Staat, die Konjunktur mit Investitionen zu stützen.

„Pulverfassgereift“ nannte Sven Gächter kürzlich die politische Verfassung der EU: In Griechenland hat der linke Geisterfahrer Alexis Tsipras die etablierten Parteien bereits am Boden zerstört. In Spanien führt der ähnlich gestrickte Podemus-Tribun Pablo Iglesias in allen Umfragen. In ­Österreich wird mit der FPÖ die Partei stärkste Kraft, die die wenigste Ahnung von Wirtschaft hat, und in Frankreich droht ein Wahlsieg des rechtsextremen Front National.

„Allenthalben verschärft sich der Widerstand gegen ein „System“, das augenscheinlich immer mehr Verlierer produziert“, beschreibt Gächter die unübersehbare politische Entwicklung (profil 6/2015). Ihr liegen zwei ökonomische Entwicklungen zugrunde:

1.) Die Umverteilung von unten nach oben, die dazu geführt hat, dass 1,5 Prozent der Bevölkerung extrem reich geworden sind, während die Masse sinkende bis stagnierende Reallöhne hinnehmen musste und für die vermiedenen Spekulationsverluste der obersten Zehntausend aufgekommen ist. Der angeblich von allen Parteien geschützte „Mittelstand“ verschwindet zwischen Superreichen und Verarmenden.

2.) Diese kritische Schieflage wurde durch den Sparpakt dramatisch verschärft: Er vermindert das Wirtschaftswachstum und vermehrt damit die Arbeitslosen. Das Zurückfahren der sozialen Leistungen des Staats geht zwangsläufig vor allem zu Lasten der sozial Schwächeren. Hauptschuld an 1.) trägt die falsche These des Neoliberalismus, dass es den Massen umso besser geht, je mehr die Wirtschafts­politik Superreiche und ihre Unternehmen bevorzugt.

Hauptschuld an 2.) tragen zwei der sympathischsten Politiker, die ich kenne: Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Keine empirische Erfahrung vermag ihnen klarzumachen, dass der über alle Staaten der EU gleichermaßen verhängte Sparpakt ein gut gemeinter Fehler war:

Nicht die historische Erfahrung, wonach die Regierung Brüning der Weltwirtschaftskrise von 1929 mit massivem Sparen des Staates begegnete und damit jene Massenarbeitslosigkeit heraufbeschwor, die Hitler an die Macht brachte.

Nicht die Erfahrung der USA, die diese Krise überwanden, indem sie sich massiv mehr verschuldeten: Es waren die gewaltigen staatlichen Rüstungsausgaben, die ihre (und leider auch Hitlers) Wirtschaft wieder auf Touren brachten. Merkels Paradesatz, dass eine Schuldenkrise unmöglich durch Mehrverschuldung zu überwinden sei, ist nachweislich falsch.

Nicht das aktuelle Beispiel der USA, die ihr Wirtschaftswachstum erfolgreich ankurbelten und ihre Arbeitslosigkeit erfolgreich minimierten, indem sie ihren Staatsschulden keine so übertriebene Bedeutung beimaßen.

Nicht die aktuelle Erfahrung, dass die EU, die vor dem Sparpakt mit 83 Prozent verschuldet war, heute mit 88 Prozent verschuldet ist und dass sich ihr Wachstum halbiert hat.

Nichts, absolut keine empirische Beobachtung, kann Merkel, Schäuble & Co. davon abbringen, im Sparen des Staates die einzig richtige Medizin zu sehen.

Ein wenig lässt sich das damit erklären, dass es der Alltagserfahrung entspricht: Betriebe mit hohen Schulden müssen im Allgemeinen sparen, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber Menschen von der Intelligenz ­Merkels oder Schäubles müssten den grundsätzlichen Unterschied zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft doch sehen können: Ein Betrieb, der ein Viertel seiner Belegschaft kündigt, um zu sparen, kann auf diese Weise wieder Erfolg haben – wenn alle Betriebe einer Volkswirtschaft so handelten, bräche sie zusammen.

Nur unterbewusste Irrationalität kann so intelligente Menschen so blind für volkswirtschaftliche Zusammenhänge machen: „Schuld“ ist im „Abendland“ offenbar mehr als ein ökonomisches Vertragsverhältnis: Es ist die Folge von „Sünde“ – im konkreten Fall der Todsünden „Faulheit“, „Völlerei“ (Maßlosigkeit) und „Wollust“ (übermäßiges Begehren), die für CDU/CSU & Co. die gerechte Strafe einer Wirtschaftskrise nach sich gezogen haben.

Auf Vergebung kann nur hoffen, wer büßt – endlich wieder „hart arbeitet“, auf „überschießende Sozialleistungen“ verzichtet und „den Gürtel enger schnallt“.

Es ist die gleiche unterbewusste Ideologie, die uns „bittere Medizin“ immer für die wirkungsvollste halten lässt – statt dass wir uns an Heilungsquoten orientierten.