Peter Michael Lingens: Das letzte Mal Griechenland?

Einige Gründe dafür, dass Griechenlands „Rettung“ diesmal gelingen könnte – und ein paar Gründe dagegen.

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Griechenland erhält also neuerlich ein angeblich letztes Hilfspaket von circa 85 Milliarden, mit denen es neuerlich vor allem Schulden bedienen und Banken – diesmal allerdings nur eigene – retten wird. Frankreich hat auf diese Lösung gedrängt, Deutschland hat nur hinhaltenden Widerstand geleistet, und die Regierung Alexis Tsipras’ hat sich angestrengt: Sie hat in wenigen Wochen mehr ernsthafte Reformen beschlossen als ihre Vorregierungen in sechs Jahren. Man will Staatseigentum privatisieren, Frührenten abschaffen, ein Grundbuch einrichten, die Justiz beschleunigen,und die absurden Militärausgaben um eine halbe Milliarde kürzen. Reeder sollen erstmals Steuern zahlen; die wegen ihrer Unvermeidbarkeit verhasste Immobiliensteuer der Vorregierung wird beibehalten; und mit der Mehrwertsteuer wurde eine Massensteuer erhöht. Vor allem aber sollen diese Steuern auch wirklich eingehoben werden.

Nichts davon – die höhere Mehrwertsteuer ausgenommen – hat mit „Kaputtsparen“ zu tun. Alles ist unabdingbar, wenn Griechenland ökonomisch reüssieren will.

Das einzige, aber beträchtliche Problem lautet: Wird Tsipras diese Versprechen auch halten können?

Wie zum Beispiel schafft man eine funktionierende Steuerbehörde, wenn man nicht ausschließen kann, dass jeder vierte Finanzbeamte nur zu gerne ein „Kuvert“ nimmt?

Dagegen nutzt die beste EDV nichts.

Wenn sie überhaupt installiert wird. So hat die EU Griechenland für den Aufbau eines elektronischen Grundbuchs zwischen 1994 und 1999 bereits 138 Millionen Euro gegeben, 2001 aber 100 Millionen zurückgefordert, weil nichts weiterging. Zwischen 2000 und 2006 wurde das Projekt neuerlich mit 41,6 Millionen gefördert – dennoch wird dieser Tage eine Fertigstellung nicht vor 2020 verhandelt.

Der griechische Staat ist arm, das ist nicht seine Schuld, aber schlimmer als seine Armut ist die schlechte Finanzwirtschaft, die im Land herrscht. (‘Der Schlei-Bote‘, 1897)

Kollegen des „Flensburger Tagblatt“ haben einen Artikel der norddeutschen Tageszeitung „Der Schlei-Bote“ vom 18. Mai 1897 ausgegraben, den auch Sie auszugweise genießen sollten: „Der griechische Staat ist arm, das ist nicht seine Schuld, aber schlimmer als seine Armut ist die schlechte Finanzwirtschaft, die im Land herrscht … Im modernen Hellas besteht der allerliebste Brauch, dass die Anhänger des jeweiligen Ministerpräsidenten es als ein schönes Vorrecht betrachten, so wenig wie möglich oder besser noch gar keine Staatssteuern zu bezahlen … Die griechischen Finanzminister haben es verstanden, eine 100-Millionen-Anleihe nach der anderen einzuheimsen … Doch Millionen und Abermillionen, die zur Verwirklichung von großen, dem ganzen Land nützenden Unternehmungen verwendet werden sollten, sind in ganz andere Taschen geflossen als in die von Ingenieuren und Arbeitern.“

Griechenlands zentrales Problem – ich wiederhole, was ich vor Monaten geschrieben habe – ist nicht, ob es im Euro bleibt oder zur Drachme zurückkehrt, beides hat Vor- und Nachteile, sondern ob es diese Tradition, wie sie sich in Jahrhunderten osmanischer Herrschaft herausgebildet hat, zu überwinden vermag.

Wie mein Kollege Georg Hoffmann-Ostenhof traue ich das der „linken“ Regierung Alexis Tsipras’ zumindest eher zu als allen Vorregierungen. Selbst die denkbar Griechenland-kritische „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, dass in Athen ein neuer Geist herrsche: Die Minister zitierten zwar immer noch Marx, hörten aber auch Ökonomen der „Institutionen“ zu; Spitzenbeamte zeigten sich kooperativ; alle wären plötzlich bereit, zu lernen. „Griechenland“, so resümiert ein Kommentar, „könnte es diesmal schaffen“.

Ich halte es für zusätzlich „konstruktiv“, dass die EU das Geld diesmal nur ratenweise und nach Prüfung der realen Fortschritte auszahlt: Das wird das Bemühen stärken. Traditionelle Korruption ist zwar unendlich schwer einzudämmen – aber absolut aussichtslos ist nicht einmal das.

Dass Tsipras unverändert verkündet, er halte die Sparpolitik der EU für falsch, kann man ihm schwer ver-übeln: Von den Milliarden, die Griechenland bisher erhielt – und die seine Schulden von 108 auf 180 Prozent des BIP gesteigert haben –, flossen neun Zehntel in die Rettung voran deutscher, französischer und dann erst griechischer Banken. Und der von der Troika zum Zweck des raschen Schuldenabbaus sofort geforderte massive „Primärüberschuss“ des griechischen Staatshaushalts musste jedes Wirtschaftswachstum ersticken.

Im aktuellen Abkommen will sich die EU daher aktuell mit 0,25 und ab 2016 mit 0,5 Prozent Prozent des BIP „Primärüberschuss“ begnügen – das scheint erzielbar.

Mit Alexis Tsipras (aber auch dem IWF oder Hans-Werner Sinn) glaube ich dennoch, dass ein weiterer Schuldenschnitt dem Land besser als das Zugeständnis minimaler Zinsen täte. Kein Mensch kann glauben, dass es die mittlerweile geschuldeten 300 Milliarden jemals zurückzahlt. Daher sollte man sie ihm eingedenk der geretteten deutschen und französischen Banken bis auf einen Anstandsrest erlassen – um diesen tatsächlich zurückzubekommen. Und vor allem, um endgültig Ruhe zu schaffen.