Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Mein Traum-Wien

Mein Traum-Wien

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Mein ältester Sohn hält Michael Häupl für einen genialen Wahlstrategen: Zuerst habe er Maria Vassilakou in aller Ruhe ihre Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße planen lassen; jetzt, da sie verwirklicht sei, habe er das Debakel angeprangert und erreicht, was er erreichen wollte: Kein Wiener, der zwischen dem sechsten und dem siebenten Bezirk ein Auto benutze, würde diesmal die Grünen wählen. Ich bin dessen nicht so sicher: Zumindest diejenigen, die in der Fußgängerzone Wohnungen besitzen, werden sich über deren beträchtliche Wertsteigerung freuen, denn dort ist eine lärmfreie, abgasfreie, von Bäumen gesäumte Wohnstraße entstanden.
Schon jetzt ist freilich die Minderung der Lebensqualität in der parallelen Neustiftgasse und „meiner“ Burggasse fühlbar, denn diese beiden Straßen müssen nun auch noch den Verkehr der Mariahilfer Straße aufnehmen. Prompt stapeln sich bei mir die E-Mails von Anrainern, die mich um einen Brand-Artikel gegen die Fußgängerzone ersuchen.

Aber der wäre nicht fair: Ich bezweifle, dass der Verkehr auf diesen beiden Straßen in dem Ausmaß zunimmt, in dem er auf der Mariahilfer Straße abgenommen hat. Es wird vielmehr eintreten, was Vassilakou behauptet: Mehr Leute werden ihr Auto zu Hause lassen.

Ich halte das im Prinzip für richtig: In einer schönen Stadt, wie wir sie Gott sei Dank besitzen, sollte man sich zu Fuß oder per „Öffi“ bewegen. Autos sollten hier nur elektrisch, als Taxis oder angemietete Kleinstwagen verkehren. (Und Fahrräder nur auf eigenen Banketten, sonst ist die ganze angenehme Ruhe wieder hin.)

Obwohl das eine Vision ist, hoffe ich, dass ich sie noch erlebe. Bis zu seiner Emeritierung hat mein Freund Hermann Knoflacher versucht, sie als Verkehrsplaner zu verwirklichen: Ihm dankt Wien all jene Einbahnen, die vorrangig dazu dienen, Autofahrer so lange sinnlos hin und her zu schicken, bis sie ihr Fahrzeug resignierend abmelden – ich habe sie zu seinen Ehren „Knoflacher‘sche Fallen“ genannt.

Mit der Fußgängerzone Mariahilfer Straße ist Maria ­Vassilakou jetzt eine unsichtbare Auto-Mauer mitten durch die Stadt gelungen – gesäumt von Knoflacher‘schen Fallen sonder Zahl. Ich wende dagegen ein, was ich schon Knoflacher entgegengehalten habe: Es kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, den Autoverkehr so lange durch Schikanen zu konzentrieren, bis er stockt. Man muss die Menschen anders dazu bringen, ihr Auto aufzugeben: durch ein besseres Angebot.

Für Pendler, die von außerhalb kommen, muss dieses Angebot in riesigen peripheren Park-and-Ride-Garagen bestehen. Generell und für alle Freifahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, die voll durch eine Gemeindesteuer, statt durch den Verkauf von Fahrkarten, finanziert sind.

Wer die Wahl zwischen der kostspieligen Nutzung seines Autos und einer Gratisfahrt mit der U- oder Straßenbahn hat, wird Letztere benützen.
Natürlich geschähe das nicht wirklich gratis – man zahlte es ja mit seiner Steuer – aber es wäre preisgünstiger als bisher, denn es brauchte weder Fahrkartenautomaten noch Kontrolleure.

Es protestierten zwar anfangs all die Wiener, die bisher kaum je ein Öffi benutzten und sich daher zu Unrecht zur Kasse gebeten fühlten – aber dem stünden all die Wiener gegenüber, die derzeit kaum je ein Auto benutzen und dennoch Steuern für Straßen und Unfallspitäler bezahlen. Gar nicht zu reden von 1,8 Millionen Wienern, die mit ihren Steuern Bundestheater finanzieren, ohne Burg oder Oper je zu betreten. Abgasfreiheit, Lärmfreiheit und Freiraum zum Spazieren sollten als gemeinsam zu finanzierendes Kulturgut begriffen werden. Zumal dieses autofreie System volkswirtschaftlich sicher billiger kommt als die Summe dessen, was wir derzeit haben.

Individualverkehr wird als Minderheitenprogramm unverzichtbar bleiben: für Alte, für Gebrechliche, für Handwerker und für stark vermehrte Zustelldienste, die Hausfrauen das Einkaufen abnehmen. Für sie alle muss es Elektro-Taxis beziehungsweise Mini-E-Autos geben, die man an jeder Ecke besteigen und zurücklassen kann.

So jedenfalls stelle ich mir die Traumstadt der Zukunft vor, zu der Wien werden sollte.

Ein letzter Einwand käme sicher von der FPÖ: Wenn man in Wien öffentliche Verkehrsmittel benützen kann, ohne Fahrscheine zu kaufen, dann fahren auch „ausländische“ Besucher auf Kosten der Wiener Steuerzahler. Ich halte dem entgegen, dass sie diese Möglichkeit als Service einer wahren Kultur- und Tourismus-Metropole zu schätzen wüssten und dass ihre vermehrten Einkäufe mehr einbrächten, als ihre Fahrten kosten.

PS: Die konkrete Fußgängerzone Mariahilfer Straße ist ziemlich unbrauchbar: Eine Fußgängerzone, durch die riesige Autobusse fahren, ist keine. Und Wiens Radfahrer sind nicht geeignet, Fußgängern zu „begegnen“: Die wenigen Passanten, die sich auf die bisherige Fahrbahn wagen, tun es mit angstvoll zusammengebissenen Zähnen. Unfälle sind unausweichlich.

Wenn Fußgängerzone, dann wirklich: Mit durchgehendem Gehsteig, zusätzlichen Bäumen, Laternen und Schanigärten. Und bis auf Weiteres mit ausreichend großen Öffnungen für den Querverkehr.

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