Peter Michael Lingens: Merkel scheitert an Merkel
“Fulminant" nannte Georg Hoffmann-Ostenhof die Rede Angela Merkels, mit der sie eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen neuerlich verweigert hat. Der Applaus – „auch vonseiten der Opposition“ – habe kein Ende genommen.
Ich formulierte es anders: Grüne und Linke stehen leider weit klarer hinter Angela Merkel als CDU und SPD. Meine Vermutung, dass Deutschland die Flüchtlingskrise besser als Österreich meistern würde, war leider grob falsch.
Obwohl die rein ökonomischen Gegebenheiten Deutschland massiv bevorzugen: Es ist unbestritten, dass seine Bevölkerung in den nächsten 15 Jahren um neun Millionen Bürger im arbeitsfähigen Alter schrumpft – dennoch wird die Zuwanderung von zwei Millionen Flüchtlingen bis 2018 zunehmend als „unlösbares Problem“ gehandelt. Obwohl Deutschland als einziges Land der EU wirtschaftlich heute besser als vor der Finanzkrise dasteht.
Wie aber sollen dann Österreicher, Holländer oder Finnen das Flüchtlingsproblem als lösbar ansehen? Obwohl ihre Bevölkerung kaum schrumpft. Obwohl sie ökonomisch Stagnation oder Rezession erleben und ihre Arbeitslosenzahlen kontinuierlich steigen, sodass man sehr wohl sagen muss: Jeder zusätzliche Flüchtling wird entweder arbeitslos sein oder einen Österreicher in die Arbeitslosigkeit drängen.
Es ist erstaunlich (und angesichts des angesammelten Reichtums wirtschaftlich unverändert möglich), dass so viele Österreicher dennoch bereit sind, Flüchtlingen zu helfen – aber es ist nicht erstaunlich, dass immer mehr die FPÖ (oder in Finnland die „Partei der Finnen“) wählen.
Der wirtschaftliche Zustand der EU ist hauptverantwortlich dafür, dass so viele ihrer Bewohner Flüchtlingen heute so viel negativer als 1956 (Ungarn) 1968 (Prag) oder 1995 (Bosnien) gegenüberstehen: Die Bevölkerung, voran die der alten Industrieländer, hat Angst vor der eigenen wirtschaftlichen Zukunft. Wie soll sie dann keine Angst vor dem Flüchtlingsstrom haben?
An dieser Stelle muss jedes Loblied für Angela Merkel enden: Sie ist hauptverantwortlich für den wirtschaftlichen Zustand der EU.
Ich weiß, dass ich es schon ein Dutzend Mal geschrieben habe und dass es die Agenda Austria oder die Wirtschaftsredaktion der „Presse“ wie das Gros der Deutschen Ökonomen weder mir noch den Nobelpreisträgern Joseph Stiglitz oder Paul Krugman glauben: In einer Nachfragekrise darf der Staat nicht sparen. Ich behaupte unverändert, dass das ein Gesetz der Mathematik ist. Wenn ängstliche Bürger wenig investieren (einkaufen), wenn Unternehmen keine Erweiterungsinvestitionen tätigen, weil nicht mehr gekauft wird, und alle Staaten dann auch nicht investieren, weil sie sich einem Sparpakt unterworfen haben, kann die Wirtschaft innerhalb der EU denkunmöglich wachsen. Sie kann allenfalls dort wachsen, wo ihr vermehrte Exporte in andere Wirtschaftsräume (Asien, Südamerika, USA) gelingen – aber nur bei Deutschland übertreffen diese Mehr-Exporte die Rückgänge in der EU.
Ich weiß nicht, wie oft die Behauptung der EU-Kommission, dass das Wachstum im nächsten Jahr kräftig anspringen würde, sich zu Ende des Jahres noch als falsch herausstellen muss. Wie lange wir noch zusehen wollen, wie die USA der EU ökonomisch davonziehen, weil ihre Top-Ökonomen Staatsschulden und Staatsausgaben nicht (volkswirtschaftlich abwegig) mit den Schulden und Ausgaben eines Unternehmens oder einer Hausfrau verwechseln. Wie oft wir noch konstatieren müssen, dass die USA ihr BIP bis weit über die Vorkrisenjahre hinaus gesteigert und die Arbeitslosigkeit halbiert haben, während in der EU kaum ein Land Vorkrisen-Niveau erreicht und die Arbeitslosigkeit weiter steigt – bis endlich irgendjemand glaubt, dass „Austerity “ nicht funktioniert.
Stattdessen wird sie mit grotesken Argumenten verteidigt. Da wird Irlands Sechs-Prozent-Wachstum allen Ernstes als Austerity-Triumph gefeiert – obwohl Irland für die Wirtschaft der EU etwa so typisch ist wie Luxemburg: Die grüne Insel ist ihre mittlerweile letzte noch funktionierende Steueroase, denn sie war imstande, ihre Steuerprivilegien bis 2020 zu erhalten – und danach weiterhin zu gestatten, dass 100 Prozent des Gewinns aus Urheberrechten steuerfrei bleiben. Ist es da verwunderlich, dass Unternehmen wie Apple – schon bisher der größte Arbeitgeber des Landes – oder Google dort wie wild investieren? (Der irische Ökonom Professor James Stewart vom Trinity-College spricht davon, dass Irland seine bisherigen Finanzprivilegien im Rahmen der Verhandlungen mit der EU noch erweitert habe.)
Selbst Irlands Arbeitslosigkeit ist gefallen – nachdem 200.000 arbeitsfähige Iren im Zuge des Sparens ausgewandert sind. Wie in ähnlichen Prozentsätzen auch aus Spanien, Griechenland oder Portugal, deren Nicht-Erholung ich im August detailliert dokumentiert habe.
Man muss blind sein, um den wirtschaftlichen Niedergang der EU, voran der Eurozone im Zuge des Sparpakts zu übersehen.
An diesem durch Angela Merkel verursachten Niedergang scheitert ihre anständige Flüchtlingspolitik.