Nachbarn gegen Islamismus

Peter Michael Lingens: Nachbarn gegen Islamismus

Nachbarn gegen Islamismus

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Wie alle Regierungen Europas will auch die österreichische als Konsequenz der Attentate von Paris die Polizei verstärken. Mehr Bewachung gefährdeter Einrichtungen ist sicher kein Fehler. Darüber hinaus aber sehe ich einen sehr viel zielsichereren Einsatz für die kolportierten 300 Millionen des „Sicherheitspakets“. Ein kleiner Teil dieses Geldes sollte dazu dienen, „Personen mit Migrationshintergrund“ und vor allem den zugehörigen Sprachkenntnissen als Vertrauensleute der Staatspolizei anzuheuern: Indem sie sich in der islamistischen Szene Österreichs umhören, bestünde eine erhöhte Chance, rechtzeitig Kenntnis zumindest größerer geplanter Terror-Aktionen zu erhalten.

Den sehr viel größeren Teil des Geldes sollte man jedoch verwenden, Frauen und Männer dieses Hintergrundes als Sozialarbeiter anzustellen und darin zu schulen, innerhalb der muslimischen Gemeinden für einen aufgeklärten, gewaltfernen Islam zu werben. Langfristig wird uns das weit eher als Bewaffnete vor Attentaten schützen.

Ich empfehle das in Kenntnis einer Organisation, die noch Schwierigeres unternimmt: „Nachbarinnen“ ist eine private Wiener Initiative, innerhalb derer derzeit 16 muslimische Frauen türkischer, arabischer, tschetschenischer und somalischer Muttersprache Kontakt zu muslimischen Familien suchen und finden, die sich aus den verschiedensten Gründen – Glaube, Brauchtum, Sprachlosigkeit, Armut – von der österreichischen Gesellschaft weitestgehend abgekapselt haben. So sehr, dass sie die Einrichtungen, die gerade Wien durchaus zur Erleichterung der Integration zur Verfügung stellt – Sprachkurse, Berufsberatung, Amtshilfe, Lernhilfe, usw. – weder kennen noch gar in Anspruch nehmen.

Aber wenn sie auf dem Markt, am Spielplatz oder in der Moschee von einer Frau angesprochen werden, die wie sie gekleidet ist, ihre Sprache spricht und ihre Probleme aus eigenem Erleben kennt, dann fassen sie Vertrauen. Dann ist Gespräch, Beratung und letztlich Zugang zur gesamten Familie möglich.

Obwohl oder gerade weil es auf dem Einsatz von Amateurinnen basiert, ist das Nachbarinnen-Projekt denkbar professionell organisiert: Alle Frauen erwarben an der Alpe Adria Universität fünf Monate hindurch Kompetenzen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales und Kommunikation.

Die Initiatorinnen, Christine Scholten und Renate Schnee, arbeiten ehrenamtlich, die „Nachbarinnen“ sind angestellt: Sie erleben, meist erstmals im Leben, „Berufstätigkeit“ und leben sie muslimischen Frauen und deren Männern vor. Sie haben gelernt, ihre Arbeit schriftlich zu dokumentieren. Alle zwei Wochen wird sie gemeinsam mit einer Projektleiterin evaluiert. Es wird höchster Wert auf ein „Give and Take“-Verhalten der Betreuten gelegt: Kinder erhalten kostenfreie Lernhilfe, wenn ihre Mütter sich gleichzeitig verpflichten, einen Deutschkurs zu besuchen; Familien erhalten Hilfe beim Umgang mit Ämtern, wenn sie ihre Kinder konsequent in die Schule schicken; usw.

Jede „Nachbarin“ betreut auf diese Weise rund 16 Familien im Jahr, wobei oft auch deren benachbarte Familien mit profitieren. Wichtigstes Ziel ist es, voran Kindern, die sonst kaum Chancen hätten, solche zu schaffen. Das Projekt kostet gerade nur 235.000 Euro im Jahr. Die Ausbildung der Frauen wurde von der öffentlichen Hand mit 113.000 Euro finanziert, der Rest wurde durch Spenden aufgebracht, die schon jetzt auch die Finanzierung des nächsten Jahres absichern. Nicht zufällig ist ein erfolgreicher Unternehmer wie Hans Schmid neben Banken und Versicherungen größter privater Sponsor: Das Preis-Leistung-Verhältnis überzeugt.

Prompt will die öffentliche Hand nicht mehr mitfinanzieren, statt dass das einzig Richtige geschieht: das Projekt auszuweiten. (In Oberösterreich werden derzeit bereits „Nachbarinnen“ ausgebildet.)

Was könnte erst Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit 200 ihrer 300 Millionen leisten, wenn sie sie auf ähnliche Weise einsetzte: Zur Ausbildung und Anstellung von mehreren Hundert Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen, die mit Österreichs Zuwanderern Sprache, Religion, Kultur und Tradition teilen und ihnen helfen, in diesem Land heimisch zu werden. Wenn man wie ich in den letzen Wochen im profil, im „Spiegel“ oder in diversen französischen Zeitungen die Lebensgeschichte der beiden „Charlie Hebdo“-Attentäter eingehend gelesen hat, hat man keinen Zweifel, dass der Grundstein zu ihrer Entgleisung in ihrer Kindheit gelegt wurde. Lange bevor sie in die Fänge fanatischer Islamisten gerieten, waren sie zwei verlorene Buben in einer diskriminierten algerischen Zuwandererfamilie und mussten mit dem frühen Tod ihres Vaters und dem Selbstmord der Mutter fertigwerden. Aus dieser Phase ist bei mir das Statement einer französischen Sozialarbeiterin hängen geblieben: „Hätte ich mich ihrer doch angenommen.“

Nicht dass ich sicher wäre, dass „Nachbarn“ sie vor einer Zukunft als Selbstmordattentäter bewahrt hätten – aber die hätten dazu die relativ größte Chance gehabt.