Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Nur Zufall ersparte uns den Killer

Nur Zufall ersparte uns den Killer

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Daran sollte niemand zweifeln: „Wahnsinnstaten“ wie in Oslo und UtØya hätten ebenso gut in Österreich stattfinden können. Die politischen Voraussetzungen sind absolut gleich: Ein Migrantenanteil von etwa zehn Prozent. Eine ausnehmend große, rechtspopulistische Partei, die noch etwas offener als Norwegens „Fortschrittspartei“ gegen Zuwanderung und Islamisierung hetzt. Eine ÖVP, die dieses Gedankengut zwar nicht propagiert, ihm aber so wenig wie Norwegens Bürgerliche entgegentritt. Und damit, wie in Oslo, die Sozialdemokratie als jene Regierungspartei, der die Zuwanderung vor allem angelastet wird.

Auch der Fundamentalismus evangelikaler Splittergruppen hat durchaus sein katholisches Pendant. Und Ewald Stadler lebt vor, wie sich fremdenfeindlicher Nationalismus und kämpferischer Katholizismus ideal verbinden lassen.

Ob sich der psychisch Kranke findet, der auf der Basis dieser gesellschaftlichen Voraussetzungen zum Attentat schreitet, ist eine Frage des Zufalls.

Wir hatten bisher nur den Brief- und Rohrbombenattentäter Franz Fuchs mit vier Toten – wir hätten ebenso gut den Massenmörder Anders Behring Breivik haben können.

Attentäter, schon gar in wohlhabenden, demokratischen Gesellschaften, sind immer psychisch defekt, gleich ob sie Franz Fuchs oder Anders Breivik heißen. Vaterkonflik­te scheinen dabei eine besondere Rolle zu spielen. Der Wunsch nach einem starken Führer bzw. der eigene überhöhte Führungsanspruch machen vor allem vaterlos ­aufgewachsene junge Burschen zu Sympathisanten rechtsradikaler Männerbünde. Das Verhältnis zu Frauen ist fast immer gestört: Mit 32 lebte Breivik noch bei seiner Mutter und begründet in seinem 1516 Seiten langen Internet-Testament ausführlich, warum man im Krieg gegen den Islam vor allem Frauen umbringen müsse. (Der 9/11-Attentäter Mohammed Atta fixierte in seinem Testament, dass keine Frau seinen Leichnam berühren dürfe.) Schließlich ist allen Attentätern die Geltungssucht gemeinsam: Durchwegs suchen sie Nachruhm und vorenthaltene Anerkennung.

Das macht sie so empfänglich für das politische Klima ihrer Peergroup: So wie Ulrike Meinhof & Co den Applaus der Linken erhofften, als sie den USA, den Bullen und den Bankern den Bombenkrieg erklärten, erhofft sich Anders Behring Breivik den Applaus der Rechten für seinen Krieg gegen „Kulturmarxismus“, „Multikulti“ und „Islamisierung“.

Wo andere – etwa die Politiker der rechtsradikalen Fortschrittspartei, der er zwei Jahre angehörte – nur reden, setzt er Taten. Mit Attentaten. Es ist sein Pech, dass Europas rechte Politiker, von H. C. Strache bis Marine Le Pen, sich jetzt alle von ihm distanzieren müssen, obwohl sie von Österreich über Finnland bis Frankreich nur seine zentralen Thesen vertreten haben: dass islamische Zuwanderung das christliche Abendland gefährdet und also mit aller Energie bekämpft werden muss. Sie können sich allerdings darauf berufen, dass die Norweger die Augen noch fester schließen: Ministerpräsident Jens Stoltenberg meinte im Fernsehen ernsthaft, dass sein Land „kein Problem mit Rechtsradikalismus“ habe, obwohl die rechtspopulistische Fortschrittspartei schon bei den nächsten Wahlen die Regierung übernehmen könnte.

Ähnliches ist in Finnland denkbar. Und in Ungarn bereits der Fall.

Man sollte sich darüber klar werden, dass der Rechts­radikalismus die entscheidende aktuelle Bedrohung Europas darstellt: Reale wirtschaftliche Probleme in Verbindung mit den realen Problemen einer weiterhin zunehmenden Migration bilden ein gefährliches Gemisch, das Demagogen nur zu leicht zur Explosion bringen können. Wobei diese Explosionen nicht in einmaligen Massakern wie in ­UtØya, sondern in langfristigen politischen Umbrüchen höchst zweifelhaften Ausgangs bestehen werden.

Im „Standard“ setzte sich der Katholik Gerfried Sperl mit der Rolle des christlichen Fundamentalismus in diesem Szenario auseinander: Man vergesse allzu leicht, „dass der jahrzehntelange Terror in Nordirland von katholischen und protestantischen Fundamentalisten betrieben wurde“.
Aber seine (und meine) weit größere Sorge gilt den USA: Es gibt dort eine Vielzahl fundamentalistisch-evangelikaler Gruppen, die Waffengewalt zwar rhetorisch ablehnen, Besitz und Gebrauch von Waffen aber wie ihr Allerheiligstes verteidigen. Die USA sind für sie das „gelobte Land“, in dem die Bibel Vorrang vor der Verfassung haben muss. Sozialismus – eine staatliche Krankenversicherung – ist des Teufels; dass der Mensch aus dem Affen hervorgegangen ist, soll an Schulen nicht gelehrt werden.
Als Sammelbecken fungiert die „Tea Party“, deren Programm „stärker jenem der christlichen Fundamentalisten als dem der Republikaner entspricht“ (Sperl).

Der Hass, den die Tea Party dem farbigen, liberalen ­Demokraten Barack Obama entgegenbringt, hat durchaus die Dimension des Breivik’schen Hasses gegen die So­­zia­listen.

Kein Volk sei gegen Faschismus gefeit, meinte Simon Wiesenthal in seinem letzten Buch „Recht, nicht Rache“. Seine größte Angst sei ein faschistisches Amerika.
Meine auch.

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