Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Politik als negative Auslese

Politik als negative Auslese

Drucken

Schriftgröße

Das muss man fertigbringen: als Nachfolger von Ernst Strasser mit Hubert Pirker einen Mann zu nominieren, auf dessen Lobbyisten-Website noch bis vor Kurzem zu lesen war: Wir beraten Sie … wie EU-Maßnahmen optimal genutzt, modifiziert oder auch verhindert werden können.
Selten sind die Schwächen des politischen Systems ­Österreich so deutlich sichtbar gewesen wie in den letzten Tagen und Monaten. Ich kann mich nicht erinnern, dass es je so schwache Führungspersönlichkeiten gegeben hätte: Wenn man anlässlich seines 70. Geburtstags im Fernsehen an Erhard Busek als Obmann der ÖVP erinnert wurde, kann man nur in Tränen ausbrechen, wenn man an seine jüngsten Nachfolger denkt. Wobei es auf der linken Seite diesbezüglich um nichts besser aussieht: Ich hätte für unmöglich gehalten, dass ich einmal Alfred Gusenbauer nachtrauern und Franz Vranitzky geradezu verklären würde.

Die Auslese, nach der Österreicher zu Politikern werden, hat endgültig zu funktionieren aufgehört.

Und dieses Problem perpetuiert sich (fast wie bei der Bestellung neuer Päpste durch die von ihnen ernannten Kardinäle): Weil Politiker ein so schlechtes Image haben, wollen noch weniger gute Leute in die Politik gehen. Beziehungsweise: Es gehen immer mehr Leute in die Politik, die darin im günstigsten Fall eine Chance auf ein angenehmes, risikoloses Einkommen und im ungünstigsten Fall eine einmalige Chance auf Bereicherung sehen.

Nicht, dass das nur in Österreich so wäre – aber es ist hier mittlerweile besonders häufig so.

Gleichzeitig bringt die Koalition aus SPÖ und ÖVP besonders wenig weiter: Nach dem jämmerlichen Sparbudget gelang weder der erfolgreiche Übergang zu einem Berufsheer noch eine ausreichend rasche Lösung der Universitäts- oder Schulmisere.

Ich bin neugierig, wann die Österreicher begreifen werden, dass alle diese Probleme untrennbar mit unserem Wahlsystem verbunden sind: Es erlaubt keine positive Personalauslese. Und es ermöglicht nur in Ausnahmefällen Regierungen, die Reformen durchführen können, ohne darin von einer zweiten Regierungspartei maximal behindert zu werden.

Ausschließlich Alleinregierungen haben Österreich entscheidend vorangebracht:

- Die Alleinregierung Josef Klaus’ hat Österreich mit dem Rundfunkgesetz ins Informationszeitalter eingeführt und die verstaatlichte Industrie durch die Gründung einer eigenen Gesellschaft zu ihrer Verwaltung erstmals aus der totalen Beherrschung durch die politischen Parteien gelöst.

- Die Alleinregierung Bruno Kreiskys hat sämtliche wichtigen gesellschaftspolitischen Reformen dieses Landes durchgesetzt.
Alle Koalitionsregierungen waren – daran gemessen – ungleich leistungsschwächer, wenn man vom Sonderfall des Beitritts zur EU unter Franz Vranitzky absieht: In einer außergewöhnlichen Situation, in der die Zusammenarbeit der Koalitionspartner die unverzichtbare Voraussetzung des Erfolgs war, konnte (musste) diese Zusammenarbeit funktionieren. (So wie sie es in der unmittelbaren Nachkriegszeit getan hat.)
In allen anderen Zeiten führt der Zwang zur Koalition zwangsläufig zur Paralyse: Die ÖVP wird immer versuchen, sich zu „profilieren“, indem sie die SPÖ bei ihren Vorhaben maximal behindert – die SPÖ wird immer versuchen, sich zu „profilieren“, indem sie die ÖVP bei ihren Vorhaben ­maximal behindert.

Das liegt in der Natur dieser Konstellation. Eine Partei, die nicht so agiert, verliert sonst zulasten der Kanzler-Partei an Stimmen, weil die Erfolge gemeinsamen Regierens fast immer vorrangig dieser gutgeschrieben werden.

Wenn ein Regierungspartner von vornherein viel kleiner ist, ist dieses Problem im Allgemeinen geringer, kann sich aber selbst dort zum Desaster auswachsen: So ist etwa die FDP mit dem Schlachtruf der „Steuerreduzierung“ in den deutschen Wahlkampf gezogen und nicht davon abgerückt, als die „Finanzkrise“ diese primär sinnvolle Intention obsolet gemacht hat. Mit dem Erfolg, dass Angela Merkel es bis heute büßen muss, so wie sie für Guido Westerwelles dürftige Performance als Außenminister büßen muss, ohne ihn auswechseln zu können.

Koalitionen sind überall die ineffizienteste Form demokratischen Regierens.
Ein Wahlrecht, das die Koalition nahezu gleichstarker Parteien zur Regel macht, ist aus diesem Grunde in meinen Augen ein ineffizientes Wahlrecht.

Die Einführung eines persönlichkeitsbezogenen, mehrheitsfördernden Wahlrechts linderte beide zentralen Probleme des österreichischen politischen Systems: Die Parteien stellten Kandidaten auf, die in ihren Wahlkreisen eine absolute Mehrheit erringen oder sich bei Stichwahlen durchsetzen müssten. Die so gewählten Mandatare wären damit nicht nur ihrer Partei, sondern auch ihren Wählern persönlich verantwortlich. Nicht, dass das Strassers ausschlösse – aber zumindest nach seinen E-Mails hätte er den Wahlkampf in seinem Wahlkreis vermutlich verloren.

Nicht, dass die Auslese durch die Wähler immer optimal sein müsste – aber wenigstens wäre sie demokratisch, und besser als derzeit funktionierte sie allemal.

Gleichzeitig gäbe es in einem so zustande gekommenen Parlament eine Mehrheit, die ihr erlaubte, entscheidende Reformen auch wirklich voranzutreiben, statt dass sich zwei Regierungsparteien in wechselseitigen „Profilierungskämpfen“ aufrieben.


[email protected]