Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Rassismus statt Außenpolitik

Rassismus statt Außenpolitik

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Am Ende sind doch wieder nur die Amerikaner geblieben! Nachdem der Sicherheitsrat grünes Licht gegeben hatte, übernahmen sie fünf vor zwölf, was eigentlich Aufgabe der benachbarten EU gewesen wäre: die Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen. Ich hoffe, sie interpretieren dieses Mandat so zynisch, wie Muammar Gaddafi die ganze Zeit über agiert: Die gegnerische Fliegerabwehr zu vernichten ermöglicht im Grunde, alles zu vernichten, was auch in die Luft schießen könnte – also auch jede Art von Artillerie.

Unter diesen Umständen haben die Aufständischen vielleicht doch noch eine Chance. In Europa hat man die außerhalb Frankreichs vorherrschende Zurückhaltung mit einer Mischung jeweils zweier Argumente begründet:
• In Libyen herrsche ein „Bürgerkrieg“ und es gehe nicht an, darin für eine Seite Partei zu ergreifen.
• Niemand wisse, was Gaddafi folgt: Dass die diversen Stämme Demokratie im Sinn hätten, sei eine naive Illusion.

Stellvertretend für viele Politiker vieler Staaten formulierte der grüne Mandatar Peter Pilz: „Im Gegensatz zu Ägypten herrscht in Libyen jetzt Bürgerkrieg. Und niemand weiß genau, wer diese andere Seite, die gegen Gaddafi kämpft, wirklich ist. Es soll mir niemand erzählen, das sei die libysche ­Demokratiebewegung. Wollen wir Gaddafi durch einen Rat libyscher Stammesfürsten ersetzen?“

Auch ich weiß natürlich nicht, was aus einem Libyen ohne Gaddafi wird. Natürlich ist es möglich, dass ein Rat libyscher Stammesfürsten die Macht an sich reißt – wobei keineswegs gesichert ist, dass der schlechter als Gaddafi agierte. Aber es ist auch möglich, dass Libyen nach Gaddafi demokratischer regiert wird als zuvor. Deshalb ist die Argumentation von ­Peter Pilz für mich unerträglich.

Bezüglich seiner Formulierung, dass ein „Bürgerkrieg“ herrsche, ist mir „unerträglich“ ein zu schwaches Wort: Dieser Aufstand hat damit begonnen, dass Hunderttausende ­Bürger sich zu friedlichen, unbewaffneten Demonstrationen zusammengefunden haben. Auf diese friedlichen, unbewaffneten Bürger hat Gaddafi schießen lassen. Darauf haben ­irgendwann auch sie sich Waffen gegriffen und sich gewehrt. Dabei wurden sie von Soldaten unterstützt, die nicht auf ihre Mitbürger schießen wollten. Das als „Bürgerkrieg“ zu bezeichnen ist noch um einiges unerträglicher als der Gebrauch dieser Bezeichnung für die Auseinandersetzung im ehemaligen Jugoslawien.

Statt der Frage nachzugehen, „wer diese andere Seite, die gegen Gaddafi kämpft, wirklich ist“, sollte Peter Pilz der Frage nachgehen, wer die Soldaten, die an der Seite Gaddafis kämpfen, vor allem sind: Söldner der benachbarten Diktaturen in Afrika und Algerien, deren Machthaber einander ­Solidarität bezeugen. (Und Gaddafis Ölgeld gut brauchen konnten und können.) Dass innerhalb dieser Auseinandersetzungen auch Stammeszugehörigkeiten eine Rolle spielen, ist so selbstverständlich und ändert nicht das Geringste an der grundsätzlichen Konstellation: Muammar Gaddafi versucht einen friedlichen, gewaltlosen Aufstand gegen seine gewalttätige Herrschaft mit menschenrechtswidriger Waffengewalt niederzuschlagen.

Das zweite Argument, dass die Zukunft Libyens nach Gaddafi auch in die Herrschaft von Stammesfürsten münden könnte, ist seriöser und wird auch von sehr sachkundigen Kollegen vertreten. Ich ertrage es trotzdem nur, wenn es als ­gravierendes Risiko, nicht aber als nahezu automatische Perspektive dargestellt wird.

Hat sich, wer dieses Argument gebraucht, eigentlich die Gesichter der Männer und Frauen angeschaut, die da Widerstand leisten? Etwa jener Rechtsanwältinnen, die in den umkämpften Städten verzweifelt das Flugverbot urgieren? Ich dankte dem Himmel, wenn mir eine von ihnen als österreichische Innenministerin entgegenblickte.

Obwohl Libyen weniger Studenten als Tunesien oder Ägypten aufweist, sind auch an der Basis dieses Aufstands ­Studenten gestanden. Es gibt sehr wohl auch in Libyen eine – wenn auch nicht so große – gebildete Schicht, die in der Lage ist, Parteien zu organisieren, die sich Wahlen stellen.

Dass die Masse ungebildet ist, ist unbestritten, aber es genügt, wenn sie ein demokratisches System akzeptiert. Und die zentrale Voraussetzung dieses Systems ist nicht das Wissen um den Gebrauch von Stimmzetteln, sondern der Wille, den Wechsel einer Regierung gewaltlos vorzunehmen – und wer hätte den mehr bewiesen als all die Libyer, Tunesier und Ägypter, die unbewaffnet und friedlich auf die Straße gingen.

Der Hochmut, mit dem diesen Völkern die Befähigung zur Demokratie abgestritten wird, irritiert mich immer und überall. Aber er irritiert mich besonders in einem Land, dessen Bevölkerung noch vor 70 Jahren einem Adolf Hitler zugejubelt hat. In dem davor eine Demokratie durch den Austrofaschismus abgelöst wurde und in dem die Bevölkerung noch ein paar Jahre davor einem senilen Kaiser jubelnd in ­einen Weltkrieg gefolgt ist.

Wenn ich die Eignung der Österreicher zur Demokratie an ihrer Vorgeschichte zu messen hätte, müsste ich sie ihnen restlos absprechen. Und doch haben wir es – zugegebenermaßen mit etwas Hilfe von außen – zu einer halbwegs funktionierenden Demokratie gebracht.

Wer Afrikanern beziehungsweise Arabern eine vergleichbare Lernfähigkeit, noch dazu unter den veränderten Bedingungen eines globalisierten Internets und Fernsehens, völlig abspricht, bewegt sich in bedenklicher Nähe zum Rassismus.


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