Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Reiche Bürger – armer Staat

Reiche Bürger – armer Staat

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Ein wohlhabender Italiener hat vorgeschlagen, dass Leute wie er um 4500 Euro italienische Staatsanleihen kaufen sollten – damit ließe sich Italiens Staatsschuld im Nu auf das Maastricht-Ausmaß reduzieren. Er bringt damit ein nicht nur italienisches Paradoxon auf den Punkt: Der geldknappe Staat steht durchaus wohlhabenden Bürgern gegenüber.

Ich bin so „links“, daraus zu schließen, dass das in Zeiten der Krise Anlass sein sollte, voran die Vermögensteuern und danach die Spitzensteuersätze anzuheben. Aber auch Mario Monti scheint das nicht zu tun.

Die Politik steht unverändert unter dem Einfluss eines angeblichen „Neoliberalismus“, zu dessen Dogmen zählt: Steuern herunter und weniger Staat ist gut für die Wirtschaft – Steuern hinauf und mehr Staat ist des Teufels.

Eldorado dieser Politik sind unverändert die USA, wo ­George W. Bush alle Steuern, die vermögende Amerikaner treffen könnten, systematisch gesenkt hat, obwohl zwei Kriege immer höhere Staatsausgaben bedingten – mit bekanntlich sensationellem wirtschaftlichem Erfolg. Und wo die Tea Party derzeit eine weitere Steuersenkung fordert, obwohl der Staat investieren müsste.

Ohne ein Freund hoher Steuern zu sein, behaupte ich: Die These, dass hohe Steuern die Wirtschaft grundsätzlich behindern, wird durch Schweden seit Jahren falsifiziert. Dieses Land mit gleichermaßen hoher Staats- wie Steuerquote kombiniert hohe Beschäftigung auf hohem Einkommensniveau mit niedriger Inflation und geringer Staatsverschuldung. (Eine hohe Staatsquote zieht fast immer eine hohe Steuerquote nach sich.)

Freilich wird sich jedermann sofort der Zeiten erinnern, in denen Astrid Lindgren Schweden verlassen wollte, weil Arbeit angesichts eines Spitzensteuersatzes von 90 Prozent sinnlos geworden war. Aber dieses Extrem hat Schweden korrigiert und ist seither ein wirtschaftlicher Musterknabe.

Relativ hohe Steuern funktionieren: Auch Australien, Großbritannien und Österreich – mit Steuerquoten über 30 Prozent und Staatsquoten über 50 Prozent – waren wirtschaftlich sehr erfolgreich. Spanien und Portugal mit Steuer- und Staatsquoten auf Schweizer Niveau kämpfen dagegen mit der Pleite.

Die Schweiz wird freilich immer als eindrucksvollster Beleg für den Vorteil einer besonders niedrigen Staats- und Steuerquote angeführt. (Und sicher falsifiziert sie die Behauptung, dass hohe Steuern wirtschaftlichen Erfolg bedingen.) Nur ist die Schweiz doch in hohem Maß ein Sonderfall: Sie konnte zwei Weltkriege vermeiden und hat nahezu kostenloses Kapital zur Verfügung, weil alle Welt es auf Schweizer Konten besonders sicher glaubt und daher auf Zinsen verzichtet.

Ob die Schweiz ohne dieses historische Glück wirtschaftlich so erfolgreich wäre, ist offen. Ich würde es freilich vermuten. Allerdings sähe ich darin nicht in erster Linie einen Erfolg der niedrigen Schweizer Steuern, sondern der grundsätzlichen Schweizer Sparsamkeit – gleich ob des Staats oder seiner Bürger.

Und damit bin ich wieder bei Schweden: Der gegenwärtige schwedische Staat hat es geschafft, sparsam mit den relativ hohen an ihn abgeführten Steuern umzugehen. Er besitzt zum Beispiel ein hervorragend organisiertes, kostengünstiges Gesundheitssystem und hat das Pensionsproblem mit einer für alle gleichen „Volkspension“ sehr viel besser als etwa Österreich gelöst. Im Schulsystem wiederum nutzt Schweden privates Kapital, indem es privat geführten Schulen staatliches Schulgeld pro Schüler bezahlt, während das für Claudia Schmied keiner Überlegung wert ist.

Schweden agiert in der Wirtschaft ähnlich rational und sparsam wie die Schweiz. Diese protestantische Tugend ist in meinen Augen das eigentliche Geheimnis ihres Erfolgs.

Ich bleibe jedenfalls dabei: Ein hoher Staatsanteil und relativ hohe Steuern haben keinen nachweisbaren negativen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg. In der unverdächtigen Formulierung der Schweizer Wirtschaftsuni St. Gallen: „Es zeigt sich, dass es keine einfache, monotone Beziehung zwischen Staatsquote und Wirtschaftswachstum gibt.“

In den aktuellen Krisenzeiten halte ich es deshalb für unsinnig, Steuern gewaltsam zu reduzieren – und gelegentlich für durchaus sinnvoll, sie maßvoll zu erhöhen.

Denn das größte Problem hoch entwickelter Volkswirtschaften in Krisenzeiten ist die Arbeitslosigkeit. Und wenn John Maynard Keynes irgendwo unbestritten ist, dann mit seiner Forderung, dass der Staat in solchen Phasen Infrastrukturinvestitionen tätigen soll, um den Wirtschaftsmotor in Schwung zu bringen und Arbeit zu schaffen (nicht um die Wirtschaft permanent zu subventionieren).

Diese Möglichkeit hat Barack Obama in den unverändert „neoliberalen“ USA nicht gehabt. Er hat mit Milliarden Banken gerettet – aber er hatte nicht das Geld, Eisenbahnlinien und Schulen zu bauen, und wird es in Zukunft schon gar nicht haben. Weil Steuererhöhungen für noch so Wohlhabende in der neoliberalen Dogmatik nicht vorkommen dürfen.

PS: Österreich ist sicher kein Kandidat für eine höhere Staatsquote, wohl aber für mehr Sparsamkeit und höhere Vermögensteuern bei verringerten Einkommensteuern.

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