Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Rigoros für mehr Krise sparen

Rigoros für mehr Krise sparen

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Es fehlen also pro Jahr rund fünf Milliarden Euro auf dem eingeschlagenen „Spar-Pfad“. Das erste größere Loch riss – wie man hier schon vor Monaten lesen konnte – die Hypo Alpe-Adria. Das zweite – wie man hier schon vor Monaten lesen konnte – der höhere Budgetzuschuss zu den Pensionen; das dritte, größte, resultiert aus der sich abschwächenden Wirtschaftsdynamik, die – wie ich seit Monaten behaupte – eine zwingende Folge von Angela Merkels Sparpakt ist.

Die ÖVP, voran die Bundeswirtschaftskammer, drängt darauf, die fünf Milliarden rigoros „einzusparen“. Die SPÖ, voran die Arbeiterkammer, zögert. Wenn sich die ÖVP durchsetzt, wird das Budgetloch Ende 2015 größer als heuer sein. Dies jedenfalls ist die Erfahrung, die bisher alle Länder machen mussten, die Merkels Spardiktat rigoros befolgten.
Ich behaupte, dass Österreich nicht zuletzt deshalb bisher so relativ gut durch die Krise gekommen ist, weil es ihren Sparpakt nie wirklich eingehalten, sondern seine Staatsausgaben hoch gehalten hat.

Ich berufe mich bei dieser Argumentation einmal mehr auf den nicht gerade linken Ökonomen Erich Streissler, der schon im ersten Krisenjahr in einer Vorlesung meinte: In Krisenzeiten darf der Staat nicht sparen – darin ist Keynes recht zu geben. Wobei freilich einmal mehr die Doppeldeutigkeit des Wortes „sparen“ zu beachten ist: Sparen im Sinne effizienterer Verwendung staatlicher Gelder ist zu allen Zeiten richtig. Natürlich soll man nicht überflüssige Spitäler betreiben, überflüssige Landesregierungen mästen oder arbeitsfähige Leute vorzeitig in Pension schicken; natürlich kann die Nationalbank ihre Leistung zu einem Zehntel der aktuellen Kosten erbringen; usw., usw., usw.

Strukturelle Reformen, bei denen der Staat die gleichen Leistungen kostengünstiger erbringt, sind dringend nötig – aber die Gesamtausgaben des Staates in Krisenzeiten zu senken, ist zwingend kontraproduktiv.
Denn im Zentrum der Krise steht jenes Zurückbleiben der „Nachfrage“, das ich in der Vorwoche beschrieben habe: Wenn die Bürger ihre Nachfrage verringern, weil die Krise sie aus Angst sparen lässt, und der Staat seine Nachfrage verringert, weil er „Sparpakete“ schnürt, muss jedes Wirtschaftswachstum enden. Aus mathematischen Gründen, die der Ökonom Wolfgang Stützle in seiner „Saldenmechanik“ so klar wie offenbar erfolglos aufgezeigt hat: Jeder Verkauf braucht einen Einkauf. Ein Einzelner kann einen Vorsprung erlangen, wenn er weniger ein- als verkauft. Wenn aber alle – sowohl die privaten Haushalte wie die staatlichen Stellen der EU – weniger einkaufen, ist es rechnerisch unausweichlich, dass die Unternehmen der EU auch weniger verkaufen. (Die Mehr-Verkäufe in den USA oder China reichen nicht entfernt, die Minder-Verkäufe in Europa wettzumachen.)

Deshalb ist auch die Ansage von EU-Währungskommissar Olli Rehn, dass Europas Wirtschaft zwar heuer noch schrumpfen, 2014 aber wachsen würde, pure Illusion, wenn Merkels Spardiktat aufrecht bleibt. Es wird vielmehr so sein wie in Griechenland, in Spanien, in Portugal und in Italien noch jedes Jahr: Die neuen Defizite werden die vorangegangenen übersteigen, weil die Arbeitslosenzahlen sich weiter erhöhen und weil die etwas besseren Exporterlöse, die auch die südlichen Krisen-Länder dank niedrigerer Löhne erzielen, diesen riesigen Abgang nicht wettmachen. Der Druck auf Strukturreformen dieser Länder muss zwar aufrecht bleiben – aber sie können nicht mit raschem Schuldenabbau einhergehen. Sparen und Schulden abbauen kann man nur in Zeiten guter Konjunktur.
Leider dürfte Angela Merkel das erst erkennen, wenn auch Deutschland (und Österreich in seinem Schlepptau) sich der Abwärtsspirale nicht mehr entziehen kann. Zwar wird es dank seines preisgünstigen Angebotes technisch überlegener Waren zu allen Zeiten am besten dastehen – aber auf Dauer wird auch Deutschland auf außereuropäischen Märkten nicht gewinnen, was es auf europäischen Märkten dank des Sparpaktes seiner Regierung verliert.

Österreichs Regierung hatte, wie die deutsche, eine Lohnsteuersenkung geplant, die nun vermutlich doch nicht stattfinden wird. Diese Steuerreform hätte den Vorzug gehabt, den privaten Konsum zu fördern, und auch das wäre in der aktuellen Situation von Vorteil gewesen. Allerdings hätten die Kosten einer Lohnsteuersenkung vorerst den Schuldenstand der Republik erhöht oder wären zu Lasten staatlicher Investitionen gegangen. Im Vergleich wären die etwas höheren Staatsschulden jedoch ungleich weniger kritisch als die verringerten Investitionen1). Denn ihr Rückgang kostet zwingend Arbeitsplätze. Wenn der Staat Lohnsteuern senken will, ohne die Staatsschuld zu erhöhen, kann er das allenfalls, indem er Vermögenssteuern erhöht, wie das die OECD seit Jahren empfiehlt und selbst Dietrich Mateschitz für fair hält. Aber von dort bis zu Michael Spindelegger ist es zugegebenermaßen ein weiter Weg.

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