Peter Michael Lingens: Das rote Personalproblem

Peter Michael Lingens: Das rote Personalproblem

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„Die Partei befindet sich im freien Fall“, diagnostizierte der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler als Wortführer eines „SPÖ-Rettungskongresses“, der seit voriger Woche als linke Diskussionsplattform fungiert. Ich möchte ihm insoweit zustimmen, als die SPÖ in ihrer derzeitigen Form bei den Wahlen 2016 nicht nur hinter die FPÖ, sondern auch hinter die ÖVP zurückfallen wird, die personell wesentlich besser aufgestellt ist. Babler bejaht unumwunden, dass auch Werner Faymann „diskutiert“ werden muss. Schließlich hat der Wechsel von Michael Spindelegger zu Reinhold Mitterlehner bewiesen, was mehr Kompetenz und mehr Charisma einbringen: fast sofort fünf Prozent.

Da die Bevölkerung wirtschaftliche Zusammenhänge immer weniger durchschaut, wählt sie Personen, von denen sie glaubt, dass sie sie durchschauen. Egal wieweit das stimmt: Insgesamt haben Faymann und Co. derzeit bezüglich der österreichischen Wirtschaft vernünftigere Vorstellungen als Hans Jörg Schelling und Co. Doch Faymann strahlt weder dessen Kompetenz aus, noch besitzt er Charisma.

Die Verbesserung der Lebensverhältnisse „Unterprivilegierter“ ist nicht ihr zentrales Anliegen.

Charakteristisch für seine dürftige Ausstrahlung war das Schicksal des theoretisch populärsten „linken“ Themas dieser Amtsperiode: der vermögensbezogenen Steuern. Erst kamen sie ihm gar nicht in den Sinn, sondern Franz Voves; ÖGB und AK musste ihn daran erinnern. Dann vertrat er sie so laut und ungeschickt, dass ihre dumm-sture Ablehnung durch die ÖVP ihm und der SPÖ nicht einmal ein Umfrage-Plus einbrachte. Ich fürchte, es gibt das Thema nicht, das Faymann so überzeugend verträte, dass die Mehrheit ihm folgte.

Dass das Personalproblem der Sozialdemokratie tiefere Wurzeln hat, wurde offensichtlich, als man jüngst daran erinnert wurde, dass Faymanns Vorgänger Alfred Gusenbauer hieß, von dem mir linke Freunde noch vor Kurzem einreden wollten, dass er „der letzte Verfechter linker Werte“ gewesen sei. Derzeit verficht er sie für 400.000 Euro pro Jahr im Dienst des Diktators von Kasachstan.

Das ist kein Zufall, sondern symptomatisch: In der großen Vergangenheit der SPÖ waren ihre Führer, von Viktor Adler bis Otto Bauer, vorzugsweise Bürgerliche, die in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, diese jedoch ungerecht fanden und sich daher mit aller Energie der Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse Unterprivilegierter widmeten. In der profanen Gegenwart der SPÖ sind es Personen, die mit ihrer Parteikarriere die optimale Möglichkeit zur massiven Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse ergriffen haben. Das heißt nicht, dass sie schlechte politische Führer gewesen wären – Hannes Androsch oder Franz Vranitzky haben einiges zur Verbesserung der Lebensverhältnisse „Unterprivilegierter“ geleistet –, es heißt nur, dass das nicht ihr zentrales Anliegen gewesen ist. Sie haben es getan, solange es einfach ging und ihrem privaten Aufstieg nicht im Weg, sondern dienlich war.

Es gibt ein „systemisches“ Problem der personellen Auslese der SPÖ: Sie hat, selbst unter Bruno Kreisky, den Marxismus nie seriös verarbeitet: ihn als eine brillante, in vielen Beobachtungen auch zutreffende, aber als Handlungsanleitung unbrauchbare bis lebensgefährliche Theorie begriffen und als solche ad acta gelegt. Statt, wie etwa in Schweden, eine neue sozialistische Ökonomie zu kreieren, hat sie etwas entwickelt, was ich „Vulgärmarxismus“ nenne: viel verbale Entrüstung gegen „Profite“; eine dumpfe Aggression gegen „Konzerne“; und eine absurde Liebe zur „Verstaatlichung“, die sie ahnungslos mit Marxens „Vergesellschaftung“ verwechselt.

Vor allem in ihren Jugendorganisationen, aus denen die Partei ihren Nachwuchs rekrutiert, war dieses vulgärmarxistische Vokabular Voraussetzung für eine Karriere. Das hat eine negative Auslese unter „Genossen“ befördert, die sich mit Wirtschaft befassten: Entweder sie waren zu ahnungslos und zu naiv, um die Unsinnigkeit dieser vulgärmarxistischen Thesen zu begreifen – oder sie waren zynisch: entschlossen, das vulgärmarxistische Vokabular weiterhin zu gebrauchen, weil das für ihren persönlichen Profit von überragendem Nutzen war.

Während es bei Reinhold Mitterlehner oder Hans Jörg Schelling eine Übereinstimmung zwischen ihren programmatischen und ihren persönlichen Interessen gibt – sie wollen den gutbürgerlichen Besitzstand nach Kräften wahren –, klaffen persönliche und politische Ambition bei den „Rechten“ unter den roten Anführern auseinander: Ihr intensivster persönlicher Wunsch ist es, in die oberste soziale Klasse aufzusteigen – aber sie müssen dabei ständig den Kampf für die „Unterprivilegierten“ im Munde führen.

Daher wirken sie bei dieser Gelegenheit selten authentisch.

Hannes Androsch kam bei den Menschen an, weil er in seiner Entschlossenheit zum sozialen Aufstieg total authentisch und damit für Menschen „unten“ letztlich auch Märchen-Vorbild war – zumal jedermann diesen Aufstieg ausschließlich seiner enormen Tüchtigkeit zuschrieb.

Faymanns Aufstieg schreibt man der „Kronen Zeitung“ zu – und deren Stern ist im Sinken.