Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Schüssels großer Wegbereiter

Schüssels großer Wegbereiter

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Zehn Jahre nachdem Wolfgang Schüssel seine Koalition mit Jörg Haider eingegangen ist, wird allenthalben versucht, sie historisch zu bewerten. Für Christian Rainer war sie „der größte Schock in der Geschichte der Zweiten Republik“, indem sie „erstmals die Regierungsbeteiligung ­einer extrem rechten, geschichtsrevisionistischen Partei“ mit sich brachte und so zur „politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz von Menschen wie Martin Graf und Heinz-Christian Strache“ führte. Ähnlich urteilt Sven Gächter: „Die Vergangenheitsbewältigung wurde … ausgelagert, und der auf diese Weise amtlich entsorgte Postfaschismus konnte ungestört zu einem zeitgemäßen Rechtspopulismus mutieren.“

Einigkeit herrscht auch bezüglich des behaupteten Nutzens: „Die Schüssel-Mär von der Zähmung der Rechten (durch die Regierungsbeteiligung) wird bei jeder Wahl dröhnend ad absurdum geführt.“
Da ich dem nur zustimmen kann, muss ich meine eigene Fehleinschätzung korrigieren: Ich habe im Februar 2000 zwar auch keine Koalition mit der FPÖ gewollt, wohl aber für möglich gehalten, dass sie deren Siegeszug nachhaltig unterbricht, indem sich ihre völlige Regierungsunfähigkeit offenbart. Das ist auch geschehen – aber meine Hoffnung, dass die Österreicher aus dem blauen Versagen etwas lernen würden, war ein grober Irrtum.

Rainer kann für sich in Anspruch nehmen, von Anfang an gesehen zu haben, dass die Zähmung misslingen und Schwarz-Blau nichts als „Schande“ bringen würde. Nur dass diese Schande für mich nicht erst 2000, sondern 1970 beginnt: Damals – Christian Rainer und Sven Gächter waren gerade im Volksschulalter – hat Bruno Kreisky die Weichen zum unaufhaltsamen Aufstieg der FPÖ gestellt.

Bis dahin war sie eine Partei im Niedergang. Hatte der Verband der Unabhängigen (VdU) als Sammelbecken ehemaliger Nazis 1949 bei seinem ersten Antreten noch elf Prozent der Stimmen ergattert, so drohte die aus ihm hervorgegangene FPÖ zwanzig Jahre später an der damals geltenden 5-Prozent-Hürde zu scheitern: Sie konnte weder Posten noch Wohnungen vergeben und schon gar keine politischen Wünsche durchsetzen, weil ihre Regierungsbeteiligung außer Reichweite schien – also wurde sie immer ­weniger gewählt. Bis Bruno Kreisky sie wach küsste.

Nach Jahrzehnten, in denen die SPÖ immer wieder hinter der ÖVP gelandet war, war dem neuen roten Obmann klar geworden, dass es nur einen sicheren Weg gab, die schwarze Vorherrschaft zu brechen: indem er die FPÖ als Partner gewinnt. Gegen allfällige „Sanktionen“ des Auslands und Widerstand aus den eigenen Reihen waren die drei roten „Reformer“, die sich dieser Strategie verschrieben, insofern gewappnet, als Kreisky Jude, ÖGB-Präsident Franz Olah im KZ und der Wiener Bürgermeister Felix Slavik im Widerstand gewesen war.

Diese Konstellation erlaubte es Kreisky, in Geheimverhandlungen mit Friedrich Peter, dem langjährigen Parteiobmann der FPÖ, zu treten und einen historischen Pakt mit dem ehemaligen SS-Mann zu schließen: Als die SPÖ die Wahlen von 1970 gewann, musste sie nicht die erwartete große Koalition mit der ÖVP eingehen, sondern konnte mit Duldung der FPÖ eine Minderheitsregierung bilden. Als Preis hatte ihr Kreisky zweierlei versprochen: erstens eine Wahlrechtsreform, die ihr den Einzug ins Parlament erleichtern würde, und zweitens die Chance einer kleinen Koalition. Dieses zweite Versprechen brauchte er nicht einzulösen: Neuwahlen bescherten ihm 1971 die absolute Mehrheit.

Als er 1975 zweifelte, dieses Wunder zu wiederholen, war Kreisky einmal mehr zur rot-blauen Koalition mit Friedrich Peter als Vizekanzler entschlossen. Daher seine unbeschreibliche Wut, als Simon Wiesenthal dessen verschwiegene Zugehörigkeit zu einer der schlimmsten Mordbrigaden der SS aufdeckte.

Nur dass Kreisky wider Erwarten neuerlich die absolute Mehrheit schaffte, sodass er sein Versprechen gegenüber der FPÖ wieder nicht einlösen musste. Das tat, auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin, erst sein Nachfolger Fred Sinowatz, der die FPÖ damit erstmals zur Regierungspartei machte.

Die Akzeptanz von Persönlichkeiten wie Martin Graf oder H. C. Strache hatte der Sonnenkönig gründlich vorbereitet: In seine erste Regierung berief er mit Hans Öllinger einen Ex-SS-Mann zum Landwirtschaftsminister, ersetzte ihn später zähneknirschend durch das NSDAP-Mitglied ­Oskar Weihs und berief mit Bautenminister Josef Moser und Verkehrsminister Erwin Frühbauer noch zwei weitere ehemalige NSDAP-Mitglieder ins Kabinett. Sein Verteidigungsminister Otto Rösch war im Krieg Mitglied der SA und nach dem Krieg (freigesprochener) Angeklagter in ­einem Neo­nazi-Prozess – von ihm ließ sich Kreisky gefälschtes Material gegen Wiesenthal in die Hände drücken.

Wenn in Österreich neue Maßstäbe im Umgang mit der Vergangenheit gelten, dann wurden sie schon 1975 gesetzt: indem Kreisky sich „voll und ganz“ hinter den SS-Mann Peter mit seiner Vergangenheit in einer Mordbrigade stellte und Simon Wiesenthal einen „angeblichen Ingenieur“ aus dem „Osten“ nannte, dessen ewiges Bohren in der „Vergangenheit“ anderer er ein für alle Male beenden würde; indem er die Juden ein „mieses Volk“ nannte und den Vernichtungslagern des Dritten Reiches die Anhaltelager des Ständestaates gegenüberstellte. Wolfgang Schüssel musste leider keine Barrieren mehr durchbrechen, als auch er die FPÖ im Februar 2000 zu seinem Partner machte.

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