Peter Michael Lingens: Sechs Thesen zur Flüchtlingspolitik

Ein Versuch, die Alternativen aufzuzeigen, auf deren Basis sie entwickelt werden sollte.

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Dies ist ein Versuch, die emotionale Sicht des Flüchtlingsproblems durch eine Reihe von Thesen zu ersetzen, die eine rationale Diskussion zulassen.

Erstens: a) Es ist sehr wohl möglich, den Flüchtlingsstrom zu drosseln – Australien und Spanien beweisen es: - indem Grenzen befestigt und Fluchtboote abgedrängt werden und die Hauptlast der Aufnahme von Flüchtlingen mittels Geld auf die Nachbarn der Krisenländer abgewälzt wird; - indem man die verbleibenden Flüchtlinge an der EU-Grenze interniert und sie dort um Asyl ansuchen müssen; - und indem Asyl nur vorläufig gewährt und der Familiennachzug erschwert wird.

Das erschwert allerdings die Integration der Flüchtlinge massiv und mindert ihren Nutzen für die Wirtschaft. b) Es ist möglich, die Genfer Konvention restriktiv auszulegen. Krieg allein ist kein Asylgrund. Es kann individuell geprüft werden, ob der Bertreffende Angst vor Verfolgung aus den in der Konvention aufgezählten Gründen haben musste. (Derzeit ist diese Prüfung für Syrer ausgesetzt.)

Nur sollte jedermann klar sein, dass die Kombination aus a) Abschottung und b) restriktiver Auslegung der Genfer Konvention die „Leichenberge“ in Syrien und Afghanistan massiv erhöhte.

Aber zwischen diesem Extrem und Willkommenskultur sind Abstufungen möglich.

Zweitens: Derzeit existieren keine tauglichen Statistiken über Flüchtlinge. Nötig ist präzises Wissen über Nationalität, Herkunftsländer, Geschlecht, Familienstand, Alter und Ausbildung. Nur auf der Basis dieser Informationen kann sinnvoll diskutiert werden, zu welcher Flüchtlingspolitik sich Österreich entschließt. Diese Politik ist der betroffenen Region zu kommunizieren: Man soll dort wissen, wen Österreich aufnimmt – und wen sicher nicht.

Drittens: Natürlich sind alle EU-Mitglieder aufzufordern, sich an der Bewältigung des Flüchtlingsproblems zu beteiligen, aber man sollte begreifen, dass viele von ihnen diese Aufforderung nicht bloß aus Bösartigkeit negieren: Spanien mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit kann schwer zusätzliche junge Männer ins Land lassen.

Die reichen, funktionierenden Volkswirtschaften der EU müssen zwingend die Hauptlast des Problems tragen.

Viertens: Deutschland ist mit seiner boomenden Wirtschaft in einer völlig anderen Situation als Frankreich oder Italien. Zu Recht haben Deutschlands „Wirtschaftsweise“ die Kosten der Aufnahme von zwei Millionen Flüchtlingen bis 2017 soeben als „tragbar“ bezeichnet. Darüber hinaus braucht Deutschland zusätzliche Arbeitskräfte, denn seine arbeitsfähige Bevölkerung wird bis 2030 um neun Millionen schrumpfen.

Fünftens: Österreich beherbergt zurzeit mehr Flüchtlinge als Deutschland: drei gegenüber zwei pro 1000 Einwohner. Das erlaubt zwei Schlüsse: dass Österreich sich mit mehr Recht als Deutschland „überfordert“ fühlen kann. Aber auch, dass Österreich wegen der Integration so vieler Flüchtlinge ein wirtschaftlich höchst erfolgreiches Land ist.

Sechstens: Menschen, denen der Flüchtlingsstrom Angst macht, sind nicht zwangsläufig Rechtsradikale, sondern in erster Linie sozial Schwache, die schon zuvor berechtigte Zukunftsängste hatten. Nur wenn man diese Ängste adäquat berücksichtigt, kann man massive Auseinandersetzungen vermeiden.

Wolfgang Schäuble erklärte soeben, dass die Aufnahme von Flüchtlingen die Wirtschaft beleben wird.

Ich sehe folgende Entwicklung auf uns zukommen: Da Deutschland selbst die Asylberechtigung von Syrern wieder individuell prüfen, jedes Jahr überprüfen und den Familiennachzug erschweren will, wird in Österreich großer Druck entstehen, das auch tun. Außenminister Sebastian Kurz hat die Notwendigkeit des Gleichschritts mit Deutschland oft genug betont.

Ich hoffe, dass wir von dort wenigstens nicht zur Forderung nach einer „Festung Europa“ fortschreiten und für eine restriktive Handhabung der Genfer Konvention eintreten. Denn bisher war Österreich ein Land, das sich gegenüber Flüchtlingen vorbildlich verhalten hat – ein Land, auf das jemand wie ich stolz gewesen ist.

Wir haben einen Ruf zu verlieren. Gleichzeitig zählen wir zu den reichsten Staaten der Welt – und auch unsere arbeitsfähige Bevölkerung schrumpft ab 2025. Nur von „boomender Wirtschaft“ kann derzeit nicht die Rede sein. Das liegt – ich weiß, ich wiederhole mich – wie bei allen „alten“ Volkswirtschaften der EU am Sparpakt von Merkel & Schäuble. Aber zu meiner Überraschung erklärte Wolfgang Schäuble soeben – in diametralem Widerspruch zu allem, was er bisher ökonomisch vertreten hat –, dass die Aufnahme von Flüchtlingen die Wirtschaft beleben wird, weil man viele Wohnungen bauen oder Lehrer anstellen muss. John M. Keynes behauptete das schon immer und meinte daher, dass der Staat in Zeiten von Nachfragekrisen investieren soll.

Jedenfalls kann Schäuble Österreich schwer übelnehmen, wenn es ihm jetzt ökonomisch folgt und angesichts des Flüchtlingszustroms deutlich mehr investiert: das Budget für sozialen Wohnbau verdoppelt und wie Hessen 100 zusätzliche Schulklassen samt zusätzlichen Lehrern für fremdsprachige Schüler einrichtet.

Man wird 2017 staunend entdecken, dass es Österreich trotz dieses Mehraufwandes wirtschaftlich besser anstatt schlechter gehen wird.