Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Seit eh und je verantwortungslos

Seit eh und je verantwortungslos

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Verantwortungslose Sicherheitspolitik „bedeutet, das ­Leben dieser und der nächsten Generation mit Vorsatz zu gefährden“, schrieb mir Christian Rainer in der Vorwoche aus der Seele. Ich gehöre schon eher zur vorigen Generation, will aber festhalten, dass deren Leben noch viel ­offenkundiger aufs Spiel gesetzt wurde: Nicht einmal als Österreich in der Grauzone zwischen Warschauer Pakt und NATO das neben Finnland am meisten gefährdete Land des freien Europa war, hat die Regierung Sicherheitspolitik ernst genommen. Auch wenn Österreich aufgrund seiner Neu­tralität kein NATO-Mitglied sein konnte, hatten die USA doch zum Ausdruck gebracht, dass sie es allenfalls dann verteidigen, wenn es zur Selbstverteidigung entschlossen ist. Dennoch war Österreichs Wehretat vom Staatsvertrag bis zur Wende der niedrigste Europas.

Mitten im Kalten Krieg zog Bruno Kreisky 1970 mit dem Slogan „Sechs Monate sind genug“ in den Wahlkampf und hatte nur das zufällige Glück, dass General Emil Spannocchi diese Not nutzte, ein meines Erachtens weit glaubwürdigeres Wehrkonzept („Spannocchis Partisanen“) zu ersinnen. Ob es das wirklich war, wird von vielen Generälen bis heute bestritten – sicher ist, dass es in keiner Weise Kreiskys wehrpolitischer Planung entsprang. Sondern opportunistischer Laune.

Verbunden war die allgegenwärtige Geringschätzung des Heeres mit der Seligsprechung der „Neutralität“, die wir angeblich „nach dem Muster der Schweiz“ ausüben: Die gibt derzeit vier Milliarden für ihr Heer aus – Österreich zwei.

In einem hierzulande kaum gelesenen Buch* habe ich dargestellt, dass die Neutralität als solche nicht ein einziges Land Europas je vor Krieg bewahrte – auch nicht die Schweiz, die nur das Glück hatte, nicht auf Hitlers Vormarschlinie zu liegen.

In der „NZZ“ wurde das Buch auf einer Dreiviertelseite besprochen – in Österreich mit keiner Zeile. Niemand kann behaupten, dass die Massenmedien Sicherheitspolitik sehr viel ernster als die Politiker genommen hätten.

Obwohl die „Wende“ ab 1997 das bis dahin gültige Bedrohungsbild völlig obsolet machte und Österreich ganz neue völkerrechtliche Möglichkeiten eröffnete, führte auch das zu keiner ernsthaften Diskussion. Wolfgang Schüssel, der sie kurz versuchte, zuckte erschreckt zurück, als er erlebte, wie die Bevölkerung auf jedes Antasten der Neutralität reagierte.
Charakteristisch für die folgenden Regierungen war die Bestellung des Wehrdienstverweigerers Norbert Darabos zum Verteidigungsminister. Herbert Lackner meint, dass er gedemütigt wurde, als Michael Häupl ihn anlässlich der Wiener Wahlen zwang, seine wehrpolitische Sicht um 180 Grad (von der „Wehrpflicht“ zum „Berufsheer“) zu drehen – ich glaube, dass er wie drei Viertel seiner roten wie schwarzen Kollegen nie eine wehrpolitische Sicht hatte, sodass er sie jetzt auch getrost wieder um 180 Grad zur Wehrpflicht zurückdrehen kann.

Oder glaubt jemand, dass sich Michael Spindelegger seine Meinung zu dieser Frage in wochenlangen, eingehenden Diskussionen mit Experten gebildet und nur aus ­Sicherheitsgründen bis zu Erwin Prölls NÖ-Wahlkampf geheim gehalten hat?

Darabos’ geringes internes wie externes Ansehen hat sicher zur Niederlage des „Berufsheeres“ beigetragen. Ich fürchte aber, dass selbst ein glaubwürdigerer Minister nicht in der Lage gewesen wäre, sie abzuwenden: Man kann ein Volk nicht Jahrzehnte sicherheitspolitisch verdummen und dann rationale Einsicht von ihm erwarten. Der Ausgang der Volksbefragung stützt Christian Ortners These aus seinem Bestseller „Prolokratie“: Wahlgänge werden durch „Pensionisten“, „Kevin“ und „Jessica“ entschieden, die auf die Frage nach einer deutschen Automarke mit vier Buchstaben, die mit A anfängt, „BMW“ zur Antwort gibt. Österreich hat auf die Frage, ob es ein Berufsheer oder die allgemeine Wehrpflicht haben will, „Zivildienst“ zur Antwort gegeben.

Alle Parteichefs schließen daraus, dass die direkte Demokratie forciert werden sollte – nur Herbert Lackner und mir scheint das die Haare zu sträuben. Dass die SPÖ alles getan hat, um zum aktuellen Debakel beizutragen, hat er ausgiebig beschrieben. Ich will ergänzen, warum es ausgeschlossen ist, ein Heer von Sechsmonatsdienern so zu gestalten, dass es seine wichtigste aktuelle Aufgabe erfüllt.

Erstens kann man ihnen keinen ernsthaften militärischen Einsatz im Ausland zumuten – wie Spanier, Polen oder Portugiesen ihn selbstverständlich leisten –, weil sie sich nicht freiwillig zum Heer gemeldet haben.

Zweitens sind sie dafür zu schlecht ausgebildet: Unter ­anderem aus dem Afghanistan-Einsatz hat Deutschland ­geschlossen, dass es seine Soldaten mindestens ein Jahr ausbilden muss.

Mir ist klar, wie die Mehrheit der Österreicher das sieht: Vor ernsthaften militärischen Einsätzen drücken wir uns auf alle Zeiten. Aber wäre es nicht doch logischer, das Heer abzuschaffen, der NATO jedes Jahr 1,5 Milliarden für friedenssichernde Projekte zu überweisen und Feuerwehr, ­Caritas und Rotem Kreuz 0,5 Milliarden für Katastrophenschutz und Zivildienst zu spenden?

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