Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens So verspielt man Zukunft

So verspielt man Zukunft

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Die Montanuniversität in Leoben verhandelt derzeit mit Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle um ihr Budget für die nächsten drei Jahre. Nach ihren Berechnungen müsste es unter Fortschreibung der aktuellen Kosten und Berücksichtigung der Inflation 153 Millionen Euro betragen – Töchterle bietet 119 Millionen. Hannes Androsch, der die Verhandlungen als Vorsitzender des Leobner Universitätsrats begleitet, kommentierte das nicht zuletzt aus der Sicht eines betroffenen Unternehmers: „Es ist inakzeptabel!“

Ich möchte es aus der Sicht eines steuerzahlenden Bürgers kommentieren: So verspielt man Österreichs wirtschaftliche Zukunft. Für jeden Laien ist ersichtlich, dass eine Hochschule, die Materialphysik, Mechanik, Informatik, Elektrotechnik, Kunststofftechnik, Metallurgie oder Recycling lehrt, von extremer Bedeutung für all die Unternehmen ist, auf deren Exporterfolgen unser Wohlstand beruht. Österreichs größtes Unternehmen, die OMV (Umsatz: 34,05 Milliarden), braucht Erdölgeologen (die in Leoben derzeit gerade ein Softwareprogramm zur schnelleren Analyse von Bohrdaten entwickeln). Ein Parade­unternehmen wie die ­Ti­roler Planseewerke, führend in der Herstellung superharter Metallteile, arbeitet ebenso ständig mit Leoben zusammen wie der Edelstahlhersteller Böhler-Uddeholm. (Aus solchen Kooperationen erlöst Leoben 24,8 Millionen Euro Eigenmittel.)

Die unmittelbar mit Forschung und Ausbildung in Leoben verbundenen Umsätze liegen bei 42,5 Milliarden Euro. (Zum Vergleich: „Beherbergung und Gastronomie“ setzen 15,1 Milliarden um.) Mittelbar mit der Forschung in Leoben verbunden sind weitere 33 Umsatzmilliarden, denn es gibt kaum eine Industrie dieses Landes, für die das Verhalten von Materialien – ihre Härte, Leitfähigkeit, Alterung usw. – nicht von überragender Bedeutung wäre, und gemäß einer aktuellen Studie aus der Schweiz ist Leoben diesbezüglich unter den besten Forschungsstätten der Welt.

Bei meiner Frau, einer Juristin und Pianistin, die mit Technik wenig am Hut hat, hat es keine Minute gebraucht, um sie zu überzeugen, dass Hochschulen wie Leoben entscheidend für Österreichs wirtschaftliche Zukunft sind. Bei der Regierung scheint diese Erkenntnis bis heute nicht angekommen.

Vielleicht beeindruckt es die Schottergrubenbesitzerin Maria Fekter, die die Dotierung der Hochschulen in Wahrheit entscheidet, dass Leoben mit dem Skilifterzeuger Doppelmayr auch an einem System zum preisgünstigen Transport von Schüttstoffen arbeitet, weil das bei Kies oder Schotter der entscheidende Kostenfaktor ist.

Ich bin ungern polemisch, aber es drängt sich auf: Den 34 Millionen Differenz, um die es in Leoben für drei Jahre geht, stehen 42 Millionen gegenüber, die die Bundesregierung im letzten Jahr für „Öffentlichkeitsarbeit“ ausgegeben hat.

Karlheinz Töchterle ist angesichts der Vorgaben Fekters in einer denkbar undankbaren Lage: Natürlich ist er auch mit den begreiflichen Forderungen aller anderen Universitäten konfrontiert, die insbesondere bei den Studienrichtungen Jus oder Publizistik den Ansturm der Studenten längst nicht mehr bewältigen.

Ich glaube, dass der studierte Altphilologe hier leider eine schmerzliche Priorität setzen muss: Österreich erleidet kaum wirtschaftlichen Schaden, wenn es nur noch die Hälfte der aktuellen Publizisten, Juristen, Politologen oder Soziologen heranbildet – aber es wird mindestens doppelt so viele Absolventen technischer Universitäten und Fachschulen brauchen, wenn unser aller Wohlstand erhalten bleiben soll.

Das Defizit entsteht in der Schule, wo die Kompetenz in den naturwissenschaftlichen Fächern zunehmend der Lesefähigkeit entspricht. Das hängt nicht zuletzt mit den vielen LehrerInnen zusammen, die der Technik etwa so nahestehen wie ich der Esoterik. Von drei Lehrerinnen in meiner Verwandtschaft sind gleich zwei von intensiver Technikfeindlichkeit: Ich versuche seit Jahren vergeblich, ihnen näherzubringen, dass überhaupt nur überlegene Technik die Umwelt grün erhalten oder alternative Energien befördern kann. So wurden in Leoben etwa mit der Firma SKF Keramik-Kugellager entwickelt, die den Vorteil haben, nicht zu korrodieren, und daher Windkraftwerke rentabel machen. Und derzeit ist man auf der Spur einer kostengünstigen Technologie, um das Gold aus Milliarden abgelegter Handys zurückzugewinnen, weil es dort hundertmal so reichlich wie in Goldminen vorkommt. Überlegene Technik schont Ressourcen, statt sie zu vergeuden.

Gentechnik – die in Leoben meines Wissens nicht gelehrt wird, aber zu den wichtigsten Technologien der Zukunft zählt – lässt die Österreicher überhaupt ausrasten und könnte doch einmal dafür verantwortlich sein, dass wir trotz Erderwärmung genügend Nahrung haben.

Ich denke, dass wir nicht nur Integrations-, sondern Technik-Botschafter an den Schulen brauchen, die den Kindern klarmachen, dass nur die Technik das Überleben von 7,1 Milliarden Menschen sichert – auch wenn sie sie durch die Atombombe auch umbringen kann.

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