Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Spanische ­Zerreißprobe

Spanische ­Zerreißprobe

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Spaniens Presse funktioniert: Am 31. Jänner veröffentlichte „El País“ interne Aufzeichnungen der Partido ­Popular (PP), wonach führende Funktionäre, unter ihnen Staatschef Mariano Rajoy, seit 1990 Zahlungen aus „schwarzen Kassen“ erhielten, die von Firmen gefüllt wurden. Rajoy schreit „Verleumdung“, aber kein Spanier bezweifelt die Vorwürfe – und ihre Herkunft: Der Ex-Schatzmeister der PP, Luis Bárcenas, ist wegen eines 22-Millionen-Euro-Kontos in der Schweiz in ein Gerichtsverfahren verwickelt und fühlt sich von seiner Partei im Stich gelassen.
Wenn Spaniens Politik und Justiz funktionieren, ist schwer vorstellbar, dass Rajoy die Affäre überlebt. Aber selbst wenn er sie überlebt – viele Vorgänge sind verjährt –, ist fraglich, ob sich die Spanier weiterhin seinem Sparprogramm fügen.

Wer Sparen sowieso nur „Kaputtsparen“ nennt, mag das begrüßen – nur dass selbst der nobilitierte Keynes-Verfechter Paul Krugman „interne Abwertung“ im Falle Spaniens für unverzichtbar hält. Wenn dieser Prozess jetzt zum Erliegen kommt, ist der Euro akut gefährdet: Spanien ist zu groß, um es wie Griechenland durchzufüttern.

Spaniens zentrales Problem hat der Ökonom José Asiaín unnachahmlich formuliert: Die Finanzkrise war eine Grippe – Spaniens Krebs ist die mangelnde Konkurrenz­fähigkeit. Tatsächlich hat Spanien sich nicht an den USA infiziert – seine Banken haben kaum verseuchte US-Papiere erworben, sondern sie haben bekanntlich eine Immo-Blase finanziert: Im Schnitt besitzen spanische Haushalte 1,6 Wohnungen. Davon stehen jetzt 800.000 leer – entsprechend groß sind die Probleme der beteiligten Banken. Finanzminister Luis de Guindos schätzt den Sanierungsbedarf auf 40, Moody’s auf 100 Milliarden, die demnächst den ESM belasten.
Während Rajoy weiterhin erklärt, dass das Land nicht zur Gänze unter den Rettungsschirm schlüpfen muss, hofft die Wirtschaft verzweifelt, dass es das tut. Denn schon sind Spaniens Anleihe-Zinsen dank des Skandals wieder gestiegen.

An den harten ESM-Bedingungen sperrt es sich nicht – Spanien erfüllt sie längst aus eigenem Antrieb. Vielmehr steht der Verdacht im Raum, dass Rajoy mit Angela Merkel ein Abwarten bis nach ihren Wahlen verabredet hat. Nur hat er Spaniens sozialen Frieden schon bisher arg strapaziert – jetzt droht das Zerreißen.

In immer mehr Städten streikt die Müllabfuhr, und Müllberge türmen sich. „Wir müssen schon mit den Ratten um Essbares streiten“, kommentieren es Arbeitslose.

Es war fast ausschließlich der kreditfinanzierte Bauboom, der Spanien in der Vergangenheit Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum bescherte – daher musste sein Ende ihm die gegenwärtige dramatische Arbeitslosigkeit und Rezession bescheren. Erst diese gestiegene Arbeitslosigkeit hat mit ihren Kosten die bis dahin mustergültige Staatsschuld (36 Prozent des BIP) massiv (auf 70 Prozent des BIP) erhöht, zumal Spanien sich ab 2009 teuer finanzieren musste.

Die Entwicklung der Zinsen war symptomatisch: Bis in die neunziger Jahre waren sie zweistellig – mit dem Euro näherten sie sich deutschen Konditionen. Doch obwohl Spaniens Leistungsbilanz sich rapide verschlechterte – die Importe überstiegen die Exporte stärker als in den USA –, dauerte es zehn Jahre, ehe „die Märkte“ reagierten: 2009 entdeckten sie Spaniens mangelnde Konkurrenzfähigkeit und übertrieben die Zinsen prompt nach oben.

Damit bin ich beim „Krebs“: Die Produktivität spanischer Unternehmen ist seit 2002 jährlich nur um 0,1 Prozent gewachsen, während sie im Schnitt der EU um 0,7 Prozent, in Deutschland sogar um ein Prozent gewachsen ist. Spaniens Löhne sind dagegen mit der Inflationsrate gestiegen. ­Addiert ergibt das den fatalen Verfall der spanischen Wettbewerbsfähigkeit.

Spanien kann sie, allem Wehklagen der Gewerkschaften zum Trotz, vorerst nur durch sinkende Löhne verbessern. Dieser Prozess ist im Gange: Wer zum verringerten Lohn nicht arbeitet, wird gekündigt, nachdem Rajoy den rigiden Kündigungsschutz – bis zu 48 Monatsgehälter Abfertigung – massiv gelockert hat. Bis dahin war er ein entscheidender Beitrag zur Arbeitslosigkeit, denn zu diesen Bedingungen hat jedes Unternehmen Anstellungen panisch gescheut. Es gab daher immer einen riesigen, schwarzen Beschäftigungsmarkt. Dass es ihn weiterhin gibt, ist die Erklärung dafür, dass die Spanier trotz 26 Prozent Arbeitsloser nicht verhungern. Sinkende Löhne bedeuten freilich sinkende Kaufkraft und damit vorerst Vertiefung der Rezession. Keynesianer leiten daraus die Notwendigkeit von Staatsaufträgen ab – ich hoffe auf die Eroberung neuer Märkte durch billigere Produkte. Derzeit steigen Spaniens Exporte jedenfalls.

Wie kann die EU helfen? EU-Projekt-Fonds müssten sehr durchdacht sein, damit nicht bloß noch mehr überflüssige Straßen Landschaft zerstören. Sicher sinnvoll sind Fonds zur Förderung von Innovation und Produktivität. Den entscheidenden Beitrag muss Spanien freilich selbst liefern: Innovation und Produktivität auch steuerlich fördern; die Verwaltung halbieren und ihre Effizienz verdoppeln; und die Korruption bekämpfen – nicht leicht! Mit Rajoy!

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