Peter Michael Lingens

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Leider bin ich nicht mehr in der Lage, mit einem genialen Karikaturisten den Inhalt des nächsten Cartoons zu besprechen, wie ich das vor Jahrzehnten mit einigem Lustgewinn getan habe. Sonst schlüge ich ihm derzeit folgende Zeichnung vor: Hans Dichand steht mit erhobenem Zeigefinger vor Barbara Rosenkranz und fordert in einer zornigen Sprechblase: „Wenn du nicht sofort schwörst, dass der ­Nationalsozialismus für dich ganz, ganz pfui ist, mag ich dich nicht mehr.“ Rosenkranz, die Rechte zum Schwur erhoben, antwortet ihm in einer lichtbraunen Sprechblase: „Ich schwöre, dass ich Adolf Hitler nie zum Ehemann genommen hätte, weil alles, was er getan hat, absolut pfui war.“

Beide haben die Finger der anderen Hand hinter dem Rücken gekreuzt. Kaum hat sich der Vorhang über dieser Komödie ­geschlossen, wird man energisch darauf hingewiesen, wie ernst man sie nehmen muss, denn es erscheint der Klub­obmann der ÖVP Niederösterreich, Klaus Schneeberger, und erklärt: „Ein ÖVP-Wähler wird, bevor er einen Herrn Fischer wählt, eine Frau Rosenkranz wählen.“

Man hat nicht geträumt, sondern das ist das aktuelle ­politische Bekenntnis eines ganz normalen, bis dahin unauffälligen schwarzen Spitzenfunktionärs: Ein Kellernazi ist ihm immer noch lieber als ein Sozialist.

Der KZ-Häftling Leopold Figl, der einmal Niederösterreichs ÖVP anführte, muss sich in seinem Ehrengrab ­umdrehen: So wie Klaus Schneeberger über Heinz Fischer spricht, haben Christlichsoziale und Sozialisten in der Zwischenkriegszeit übereinander gesprochen, ehe sie in Hitlers Konzentrationslagern lernten, wer Österreichs eigentliche Totengräber sind.

Wenn man Meinungsumfragen glauben darf, ist die Ouvertüre zu diesem Wahlgang bei den Massen doch nicht so gut angekommen – vielleicht lässt er sich daher doch in die Richtung lenken, die ich vergangene Woche als „Traumszenario“ bezeichnet habe: Rosenkranz erleidet eine Erdrutschniederlage.

Ich agitiere an sich ungern, aber in dieser Situation scheint es mir zulässig: Wer in diesem Land ein Demokrat ist, wählt diesmal Heinz Fischer, auch wenn er ihn sonst in keiner Weise gewählt hätte. Um ein Zeichen zu setzen: dass Österreich ­zumindest noch nicht auf die Rosenkranz gekommen ist.
Ich schreibe das als ein Journalist, der den Politiker Heinz Fischer zeitlebens kritisiert hat: Solange ich mich der Sozialdemokratie zugezählt habe, habe ich ihm vorgeworfen, dass er einer ihrer schwächsten Führer war – und heute bin ich kein Sozialist mehr. Zu keinem Zeitpunkt konnte ich mich mit seiner Kritik am „Kapitalismus“ oder am „Rich­terstaat“ identifizieren. Als er Bruno Kreisky in dessen Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal mit einem verfassungswidrigen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Hilfe ­eilen wollte, habe ich das lautstark angeprangert. Und seine Begeisterung für Österreichs Neutralität hielt ich für so ­unsinnig, dass ich ein ganzes Buch („Wehrloses Österreich“) nur zu dem Zweck geschrieben habe, ihm nachzuweisen, dass Neutralität noch für keinen Staat auch nur der geringste Schutz gegen Aggression gewesen ist. Man kann mich, bei aller Wertschätzung für den Menschen Heinz Fischer, nicht zu den Fans des Politikers Heinz Fischer zählen.

Aber er ist ein tadelloser Bundespräsident: Hat im Ausland gute Figur gemacht; hat im Inland nicht zu viel und nicht zu wenig geredet und dabei in entscheidenden ­Augenblicken Rückgrat bewiesen: Es war klar, dass Hans Dichand ihm nie verzeihen würde, dass er Österreichs ­Zustimmung zum EU-Vertrag von Lissabon ohne Volks­abstimmung für rechtens erklärt hat. Aber selbst wenn er sich in diesem höchsten Amt des Staates weit weniger ­bewährt hätte, ja wenn er ein denkbar schwacher Bundespräsident gewesen wäre, müsste man ihn Barbara Rosenkranz nicht nur „vorziehen“, sondern dürfte gar nicht in die Lage kommen, die beiden gegeneinander abzuwägen. Frau Rosenkranz muss für einen österreichischen Demokraten unwählbar sein. Herr Schneeberger, der das anders sieht, müsste für eine „bürgerliche Partei“ untragbar sein.

Letztlich hat der Klubchef der Bundes-ÖVP, Karlheinz Kopf, schwarzen Wählern doch von Rosenkranz abgeraten. Trotzdem ist es bestürzend, dass es in dieser Partei nach wie vor so viele wichtige Leute gibt, die bereit sind, mit Leuten vom Zuschnitt der Barbara Rosenkranz gemeinsame Politik zu machen, wenn es ihnen im Augenblick einen „Sieg“ ­beschert. Statt zu begreifen, dass solche Siege Niederlagen sind: „Freiheitlich“, wie Strache oder Rosenkranz es verstehen, ist das absolute Gegenteil von „bürgerlich“.

Vielleicht hat zumindest der Umgang der FPÖ mit Kardinal Schönborn diesem oder jenem Christlichsozialen die Augen geöffnet: Der Kardinal tat das Selbstverständliche – er bezeichnete Rosenkranz als unwählbar. Die FPÖ tat das Typische – sie riet ihm, sich lieber um seine „Schwuchteln“ zu kümmern. Diese Partei versucht nie, ein Problem – wie es bezüglich des Umgangs der Kirche mit Kindesmissbrauch besteht – zu lösen, sondern sie nutzt es ausschließlich, um ­sofort eine Gruppe, die Schwulen, zu diffamieren. Exakt so, wie sie die Probleme der Ausländerintegration ausschließlich dazu nutzt, Fremdenhass zu schüren. Das „Ausgrenzen“, das sie anderen vorwirft, ist ihr Grund­­satz­programm. Diese Bundespräsidentenwahl bietet die einmalige Chance, sich deutlich wie nie zuvor von diesem Ungeist abzugrenzen.

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