Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Streik bis zum Staatsbankrott

Streik bis zum Staatsbankrott

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Folgender Ablauf zählt unter die Charakteristika Griechenlands: Der Finanzminister der aktuellen Regierung, Georgios Papaconstantinou, war schon graue Eminenz seines Vorgängers in einer ebenfalls sozialistischen Regierung der Jahrtausendwende. Damals forderte er drastische Einschnitte in Griechenlands Pensionssystem, weil es sonst kollabieren würde. Worauf die Gewerkschaften (wie übrigens auch in Österreich in der Ära Wolfgang Schüssel) zu Massenstreiks aufriefen. Die Regierung gab nach und kippte die geplante Reform. Das Pensionssystem brach prompt zusammen. Jetzt muss Papaconstantinou weit schmerzhaftere Einschnitte als damals durchführen. Gegen die die Gewerkschaft neuerlich Massenstreiks organisiert.

Unter Griechenlands vielen strukturellen Problemen – der dürftigen Industrialisierung, der desolaten Steuermoral, den überhöhten Militärausgaben – ist dieses nicht das kleinste: Arbeitnehmervertretungen, voran die Beamten­gewerkschaft, waren ständig stärker als die ökonomische Vernunft. Dies in einem Land, in dem jeder vierte Arbeitsfähige Angestellter des Staats ist. Die Löhne im öffentlichen Sektor sind auf diese Weise in den vergangenen 15 Jahren um 160 Prozent gestiegen – in den staatlichen Betrieben um 220 Prozent.

Zum Ausgleich gibt es rundum geschützte Unternehmer: Den Apothekern etwa ist eine Gewinnmarge von 35 Prozent garantiert, die Zahl der Transportunternehmer wird durch Lizenzen so beschränkt, dass sie ihre Preise konkurrenzlos hoch halten können. Und so weiter, und so weiter.

Wobei es gleich ist, ob gerade Konservative oder Sozialisten regieren: Beide brauchen die Riesenzahl der vom Staat Abhängigen, um Wahlen zu gewinnen. Beide stehen den Streiks von Staatsdienern hilflos gegenüber. Ihre Schwäche beziehungsweise die Stärke der Gewerkschaften verantwortet ein Gutteil der griechischen Reformresistenz und der zwangsläufig ausufernden Budgetdefizite.

Alle griechischen Regierungen, gleich welcher Couleur, haben diese Defizite bekanntlich seit eh und je verschleiert, wobei jede neue Regierung den Betrug ihrer Vorgängerin angeprangert und Besserung gelobt hat. Auch die aktuelle Regierung hat so agiert. Aber Papaconstantinou hat immerhin Taten folgen lassen: Den Staatsdienern wurden zwei Gehälter gestrichen; ihre Pensionierung wird um 14 Jahre hinausgeschoben; und es gibt einen Einstellungsstopp. Zugleich wurde die Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent angehoben. Trotzdem reicht dieses drastische, aber viel zu späte Sparprogramm nicht, die Staatsschuld abzubauen. Denn gleichzeitig ist die Wirtschaft, in der Staatsbetriebe eine wesentliche Rolle spielen, um vier Prozent geschrumpft.

Obwohl IWF und EU begünstigte Kredite gewähren, muss Griechenland, um liquid zu bleiben, weiterhin auch Geld auf den Finanzmärkten aufnehmen – und dafür 15 bis 18 Prozent Zinsen zahlen.

Wie so viele glaube auch ich nicht, dass das eine dauerhafte Lösung ist: Griechenland wird seine Staatsanleihen früher oder später nicht mehr zurückzahlen können.

Dass das ein supranationales Problem ist, liegt freilich daran, dass vor allem Banken – voran griechische, deutsche und französische – eifrig solche Anleihen erworben haben. Die EZB macht ihnen das bekanntlich leichter denn je, indem sie ihnen Geld zu drei Prozent zur Verfügung stellt. Eine Spanne von drei auf 15 hat sich kaum eine Bank entgehen lassen (auch nicht in Österreich). Sie ist dann vertretbarer, wenn ihr ein entsprechendes Risiko gegenübersteht: wenn die Bank ihr Geld verliert, wenn Griechenland pleite­geht. Es risse dann eben dieses oder jenes Geldinstitut mit sich. So aber will die EU – voran Deutschland und Frankreich – Griechenland partout nicht pleitegehen lassen.

In einer „neoliberalen“ Anwandlung meine ich, dass dies zum zentralen Problem der Finanzmärkte geworden ist: dass Banken nie mehr pleitegehen, auch wenn sie noch so riskant spekulieren. Es dürfte daher zur zweitbesten Lösung kommen: Man wird die Banken bestrafen – aber nicht zu sehr. Das wird geschehen, indem sich die Laufzeit griechischer Anleihen unter dem Druck der EU von zehn auf 30 Jahre verlängern und ihre Verzinsung auf drei Prozent verringern wird. Das erlaubt den Banken, sie nicht abzuwerten, und ermöglicht ihnen erfolgreiches Bilanzieren.

Die Kredite, die IWF und EU Griechenland gewähren, sollte man hingegen von vornherein als „Entwicklungs­hilfe“ abschreiben. Wenn man klar sagt, wann sie endet, wird das die Fähigkeit der Griechen zur Selbsthilfe befördern.

Trotz des griechischen Desasters ist es unverändert ­absurd, daraus den Nieder- oder gar Untergang des Euro abzuleiten. Denn man kann diesen angeblichen Niedergang nur an der „Weltwährung“ Dollar messen. Und in den USA steht das bankrotte Kalifornien für zwölf Prozent und das fast bankrotte Texas für 8,7 Prozent des BIP. Irland, Griechenland und Portugal zusammen erbringen ganze fünf Prozent der Wirtschaftsleistung der EU.

Außerdem sind die USA auch im Verhältnis zu ihrem BIP deutlich höher als die EU verschuldet, wobei die US-Verschuldung sehr viel ­rascher wächst. Ratlos ob der dennoch anhaltenden Euro-Untergangsmeldungen habe ich, wie so oft, den Wiener Professor für Finanzwissenschaften Erich Streissler um eine Erklärung dieses Phänomens gebeten. Seine Antwort: „Der menschlichen Dummheit sind keine Grenzen gesetzt.“

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