Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Unser Beitrag zum Terror

Unser Beitrag zum Terror

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Wenn ein Fernseh-Kommissar irgendwo Urlaub macht, passiert dort garantiert ein Mord – wenn ich gerade in Bogotá bin, eskaliert zumindest der Konflikt mit Venezuela. Nur dass das die Kolumbianer erstaunlich kaltlässt: Jedermann weiß seit Langem, dass Venezuelas Präsident Hugo Chávez den Guerilleros der FARC und der ELN im Grenzgebiet Unterschlupf gewährt. Dass Kolumbiens abtretender Präsident Alvaro Uribe diesen Umstand jetzt „aufdeckt“ und anprangert, wird daher eher als psychologisches Phänomen gesehen: Uribe, dessen Vater von der FARC ermordet wurde, betrachtet ihre Dezimierung als sein Lebenswerk, das er anlässlich seines Abgangs entsprechend gewürdigt wissen will. Immerhin ist es ihm in seinen beiden Amtsperioden gelungen, die FARC militärisch in die Grenzgebiete zurückzudrängen und politisch zu isolieren: War sie ursprünglich in der armen Bevölkerung breit ver­ankert, so steht sie heute im Großteil des Landes im Ruf ­einer reinen Terrororganisation, der man sehnlichst die totale Niederlage wünscht. Indem er auf die Unterstützung der FARC durch Chávez hinwies, wollte Uribe – so sehen es zumindest seine unverdrossenen Anhänger – seinen Nachfolger Juan Manuel Santos auf einen unverändert harten Kurs vergattern.

Die Schar derer, die Uribes überdrüssig sind, sieht es weniger freundlich: Santos, der sein Amt am 7. August antritt, bedürfe keiner solchen Ermahnung – schließlich habe er als Verteidigungsminister wesentlich zum Rückzug der FARC beigetragen. Nur sei er kein Gefangener von Emotionen, sondern hege die vernünftige Ansicht, dass die FARC umso leichter zu bekämpfen sei, je besser die Beziehungen zu Venezuela wären. Chávez öffentlich anzuprangern würde dagegen nur dazu führen, dass er sein Engagement für die FARC verstärkt.

Ganz allgemein sehen die Kolumbianer in Santos einen Mann, dem der Erfolg in der Sache wichtiger als jede Ideologie ist, und seine Regierungsbildung bestätigt sie da­rin: Er hat durchwegs unbestrittene Fachleute zu Ministern ernannt. Daran knüpft man die nicht unberechtigte Hoffnung auf einen deutlichen Wirtschaftsaufschwung. Denn die Wirtschaft hat unter dem Konflikt mit Venezuela gewaltig gelitten: Die Exporte in den Nachbarstaat, der zuvor Kolumbiens wichtigster Handelspartner war, sind in den letzten Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. Das hat dazu geführt, dass Kolumbiens Wirtschaftswachstum derzeit nur 3,7 Prozent beträgt und damit deutlich unter dem Schnitt der aufblühenden Volkswirtschaften Südamerikas liegt.

Dabei hat Kolumbien ähnlich gute Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Höhenflug wie Brasilien: Die Bevölkerung ist intelligent und initiativ. Das riesige Land ist unglaublich reich an Bodenschätzen: Neben den bisher bekannten Vorkommen von Kohle, Gold und Eisen werden in den letzten Jahren immer größere Erdöllager entdeckt. Und nicht zuletzt besitzt Kolumbien neben dem Kongo das einzige große Vorkommen des Minerals Koltan, das ein unverzichtbarer Bestandteil aller elektronischen Geräte ist.
Zu diesen Bodenschätzen kommt ein ungemein fruchtbarer Ackerboden, der eigentlich alle Voraussetzungen böte, weit mehr als nur Kaffee, Bananen oder Blumen zu ex­portieren.

Dem aber stehen nach wie vor die Umtriebe der FARC entgegen, die eine ständige dramatische Landflucht bewirken, die zugleich zum größten Problem der Städte ge­worden ist: Allein in Bogotá sind in den letzten zehn Jahren drei Millionen „Campesinos“ zugewandert und überfüllen dort die Elendsviertel, während sie der Landwirtschaft fehlen.

Der Kampf gegen die FARC bleibt daher ein zentrales Problem der Regierung. Uribe hat ihn nicht nur mit der offiziellen Armee geführt, sondern sich lange Zeit auch auf jene Trupps Bewaffneter gestützt, mit denen Grundbesitzer sich gegen die FARC zu schützen suchten. Das hat ­einerseits funktioniert – diese „Paramilitares“ kämpften ähnlich beherzt wie die Guerilleros –, aber es hat das Land andererseits doppelt un­sicher gemacht: Zuerst brachte die FARC die Campesinos um, wenn die ihr nicht ihre letzten Vorräte überließen; und dann folgten ihnen die „Paras“ und brachten Campesinos um, weil sie der FARC Nahrungsmittel überlassen hatten.

Hatten die „Paras“ anfangs den „Kampf gegen den Terror“ auf ihre Fahnen geschrieben, so degenerierten sie in der Folge selbst zur Terrororganisation. Zwar distanzierte sich Uribe in seiner zweiten Amtsperiode immer energischer von den Geistern, die er gerufen hatte, und setzte ihre teilweise Entwaffnung durch, aber sie fanden unter neuen Namen wieder zusammen und kauften sich neue Waffen. Denn wie die FARC besitzen sie eine unerschöpfliche Geldquelle: den Drogenhandel.

Beider wichtigster Verbündeter ist die westliche Drogenpolitik. Vor allem in den USA ist man trotz jahrzehntelangen exzessiven Misserfolgs der Überzeugung, dass man den Drogenhandel durch drakonische Strafen bekämpfen kann – also gleicht der Erfolg unverändert dem der einstigen Alkohol-Prohibition: Der Drogenkonsum geht in keiner Weise zurück, aber die Drogenhändler lassen sich das hohe Risiko durch entsprechend hohe Preise abgelten.

Ein Produkt mit einer Handelsspanne von 1000 Prozent muss zwangsläufig immer mehr Händler und Produzenten finden. Je höher die Strafen in den USA, desto reicher die FARC und die „Paras“ in Kolumbien.

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