Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Unvermeidliche Korruption

Unvermeidliche Korruption

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Christian Rainer hat schon zum zweiten Mal gegen das gewichtigste Dogma politisch korrekten Journalismus verstoßen: dass nämlich „das Volk“ niemals verantwortlich für die trüben Zustände sei, in denen es sich befindet. Einmal war er erschüttert, wie viele Österreicher bereit wären, H. C. Strache und Frank Stronach Regierungsverantwortung zu übertragen, und in der vergangenen Ausgabe hielt er für möglich, dass dieses Land korrupter als andere sei.

Ich möchte diese Ansicht aus der Erfahrung eines doppelt so langen journalistischen Lebens einerseits stützen, anderseits relativieren.
Vor mehreren Jahrzehnten hatte ich einsame Einsicht in das Dossier des Verkaufsdirektors einer der größten Waffenschmieden Europas, mit der er damals allerdings im Clinch lag, weil sie ihm diverse Provisionen nicht auszahlen wollte. Um das zu ändern, zeigte er mir zwar alle seine Dokumente – übergab mir aber immer nur eines, um daraus einen wasserdichten Bericht zu machen. Das erste und harmloseste betraf den Kauf von Feuerleitsystemen durch das österreichische Bundesheer zum etwa doppelten Preis der deutschen Bundeswehr. Der Bericht erschien – selbstverständlich ohne die geringste Reaktion seitens der Bundesregierung –, aber mein Direktor erhielt schon tags darauf seine Provisionen, sodass ich dem weiteren Inhalt seines Dossiers nur mehr nachtrauern kann. So viel aber kann ich auch ohne Unterlagen schreiben: Es war darin kein Österreicher mit Namen angeführt, während neben den Politikern anderer katholischer Länder gewaltige Summen standen, die sie persönlich erhalten hatten.

Wir waren also – zumindest damals – nicht Europameister, und ich wüsste nur einen österreichischen Politiker, der bezüglich seiner Bereicherung an die europäische Spitze ­heranreicht – aber der war nie im Waffenhandel tätig.

Der Handel mit Waffen ist aber zweifellos der interessanteste Sektor der Korruption, und ich will das mithilfe ­einer Regel illustrieren, die ich der Intuition eines anderen alten Mannes – Erhard Busek – verdanke: Bei allen sehr großen Geschäften, so meinte er, könne man wohl von drei bis fünf Prozent Korruption ausgehen, bei Großaufträgen des Staats hielte er fünf bis zehn Prozent für wahrscheinlich, bei Rüstungsgeschäften 15 bis 30. Tatsächlich hat privatwirtschaftliche Korruption natürliche Grenzen: Der Großeinkäufer eines Warenhauses, der sich dafür bezahlen lässt, dass er eine bestimmte Marmelade ins Sortiment aufnimmt, kann das doch nur in dem Ausmaß tun, in dem es den Absatz dieser Marmelade nicht abstürzen lässt, weil sie sehr viel teurer oder sehr viel schlechter als vergleichbare Produkte ist – denn ein solcher Absturz fiele dem kontrollierenden, auf seinen Gewinn bedachten Eigentümer auf.

Bei Staatsaufträgen gibt es keinen auf seinen Gewinn ­bedachten, kontrollierenden Eigentümer: Dass das Wiener Allgemeine Krankenhaus das mindestens Vierfache eines ähnlich großen, gleich ausgestatteten, gleichzeitig errichteten Aachener Krankenhauses gekostet hat, konnte man allenfalls dem profil entnehmen. Und die mindestens zwei Milliarden Euro Mehrkosten haben auch keineswegs verhindert, dass die Bauherren – Hannes Androsch als Finanzminister und Leopold Gratz als Wiener Bürgermeister – vom Volk wiedergewählt wurden. (Dies nur am Rande, um die 340 Millionen in Salzburg zu relativieren.)
Korruption bei Großaufträgen der öffentlichen Hand – bei Spitälern, U-Bahnen, Skylinks usw. – scheint unvermeidlich, man kann sie nur verringern, indem man diese Aufträge so rar wie möglich hält.

Aber meist sind es immerhin Aufträge, die Einrichtungen betreffen, die sich später von den Bürgern benützen lassen und die sich manchmal sogar mit gleichartigen Einrichtungen im Ausland vergleichen lassen müssen: Wer vom neuen Skylink in Wien abfliegt und im neuen Skylink in Malaga ankommt, vermag sofort zu beurteilen, was besser funktioniert, billiger war und in einem Fünftel der Zeit fertiggestellt wurde. Ohne dass das freilich die Bauherren – Erwin Pröll für das Land Niederösterreich und Michael Häupl für das Land Wien – ernsthaft in ihrem Amt gefährdete.
Aber welcher Bürger fliegt schon einen Eurofighter und kann beurteilen, ob der Vorteil seiner nahtlosen Einpassung in ein europäisches Verteidigungssystem den Nachteil seines hohen Preises überwiegt? Wenn sich dieser Preis noch dazu durch die Ausstattung verdoppeln oder halbieren kann? Während ein Skylink sich immerhin täglich im Gebrauch bewähren muss, muss ein Waffensystem sich nur in einem Krieg bewähren, und der ist Gott sei Dank in unseren Breiten heute sehr selten. Daher müssen Waffen sich sehr selten bewähren. Große Waffengeschäfte ohne große Korruption sind daher nahezu undenkbar.
Und sie muss umso größer ausfallen, je friedlicher die Zeiten sind: In friedlichen Zeiten immer noch Unmengen Abfangjäger, Feuerleitsysteme oder Panzer an den Mann (an die Regierung) zu bringen muss einem Rüstungsunternehmen jede Bestechungssumme wert sein.

Deshalb wiederhole ich meine Anregung aus der Vorwoche: Man möge von Zeit zu Zeit überprüfen, wie groß die Bedrohung des Friedens wirklich noch ist.

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