Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Viel Lärm, wenig Nutzen

Viel Lärm, wenig Nutzen

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Zu den Problemen der gipfelnden „Schul-Experten“ zählt, dass sich Millionen Österreicher ebenfalls für solche halten, weil sie irgendwann zur Schule gegangen sind.

Ich auch.

Für mich ins Treffen führen kann ich allenfalls, dass es mehr Schulen als üblich waren. Durch die Wirren der Nachkriegszeit habe ich eine ländliche Volksschule, eine Steiner-Schule, ein Gymnasium und zwei Realschulen besucht. Durch sechs Kinder habe ich in der Folge eine weitere Steiner-Schule, eine Schulversuchsschule, zwei Gymnasien, eine katholische Privatschule und drei internationale Schulen als Elternteil kennengelernt. Zwei der Kinder sind Lehrerinnen in Bezirken mit hohem Migrantenanteil geworden. Und ich selbst habe vor 27 Jahren eine Zeitschrift gegründet, die Schülern ein wenig Wirtschaft und Politik näherbringen soll und heute 120.000 Abonnenten hat.

Etwas mehr Einblick ins heimische Schulwesen als dem Durchschnitt hat mir das vielleicht doch verschafft, auch wenn ich nicht wage, mich mit den wahren „Experten“ zu messen. Was PISA und andere Tests jetzt zu Tage bringen, weiß ich allerdings seit gut 15 Jahren: Die Abnahme der Lesefähigkeit ist beängstigend.

Als ich die Zeitschrift 1987 gründete, war sie für Acht- bis Zwölfjährige gedacht, und vorsichtshalber ließ ich zehn Achtjährige die ersten Texte probelesen und beförderte sie erst zum Druck, als ich mich überzeugt hatte, dass sie sie verstanden. Inzwischen schreibe ich mit dem Wortschatz von damals für Zwölf- bis 15-Jährige und treffe immer wieder auf Lehrer, die mir erklären, die Texte seien zu schwierig.

Derzeit wird vor allem die Schule für dieses Desaster verantwortlich gemacht. Zu Unrecht: Das sprachliche Fundament wird im Vorschulalter gelegt – zwischen eineinhalb und fünf Jahren saugt das Gehirn gehörte Worte wie ein Schwamm auf. Berufstätige Mütter haben keine Zeit (oder sind zu erschöpft), um Kindern diesen Wortschatz im Zwiegespräch oder beim Vorlesen zu vermitteln, und Väter hatten sie nie. Daher wachsen die Kinder in Wortarmut auf.

Konservative Parteien versuchen seit Jahrzehnten, wie auch jetzt wieder hierzulande, Frauen durch ein „Betreuungsgeld“ wieder ans Kinderbett zu locken, und erleiden damit seit Jahrzehnten Schiffbruch, weil die Frauen erstens verdienen wollen und zweitens meist auch müssen.
Nur erstklassige Kindergärten bieten einen Ausweg, den die Franzosen seit Jahrzehnten beschreiten, weshalb sie eine ausreichende Geburtenrate und ein weiterhin gutes Sprachniveau haben. Ihre Kindergärten heißen „écoles maternelles“, was ihre Verwandtschaft zur Schule ausdrückt: Man lernt dort bereits schreiben.

In Österreich, wo die Zuwanderung ein gewaltiges Zusatzproblem geschaffen hat, bedarf es nicht nur der Kindergartenmöglichkeit, sondern der Kindergartenpflicht. In Holland wird diese Kindergartenpflicht politisch absolut unkorrekt durchgesetzt: Eltern, die ihr nicht nachkommen, werden mit einer Geldstrafe belegt, die bei Nichtbezahlung in eine Haftstrafe umgewandelt wird.

Bei uns löste das zur grünen Linken einen Aufschrei aus – in Holland kümmerte man sich nicht darum und setzte die Haftstrafen zwei, drei Mal in die Tat um. Seither mussten sie nie mehr verhängt werden, denn dieser Umstand hat sich bis Anatolien durchgesprochen.

Natürlich muss man Kindergärtner, wenn sie de facto Lehrer sein sollen, entsprechend ausbilden und bezahlen. Die aktuelle 350-Millionen Euro-Investition in Kindergärten wird die PISA-Ergebnisse jedenfalls am ehesten verbessern.

Auch mehr Geld für Schulen ist natürlich sinnvoll – aber ich zweifle, dass es in der Neuen Mittelschule am besten verwendet wird. Man hat der Hauptschule ein neues Türschild und einen zusätzlichen Lehrer in Hauptgegenständen spendiert. Aber Teamteaching bedarf intensiver Vorbereitung und Schulung, sonst steht man einander eher im Weg. Ich zweifle, dass es wirklich mehr bringt, als wenn man die Klasse in zwei Gruppen teilte und jede Hälfte durch einen Lehrer unterrichten ließe.
Jetzt bei den Stunden dieser Zweitlehrer auch noch zu sparen, wäre restlos absurd gewesen.

In Wirklichkeit war die alte Hauptschule einer modernen differenzierenden Gesamtschule viel näher als die Neue Mittelschule: Wie die finnische Oberstufe oder die internationalen Schulen meiner Kinder besaß sie drei Leistungsgruppen, in die die Schüler nach ihren Talenten eingeordnet werden sollten und innerhalb derer sie auch auf- oder absteigen konnten. Dass das in der Praxis in manchen Schulen viel zu restriktiv und manchmal auch gar nicht gehandhabt wurde, wäre durch mehr Lehrer, mehr Räume und motivierende Inspektionen einfach zu beheben gewesen.

Auch die Kriterien für den Wechsel an eine AHS-Oberstufe hätte man leicht so weit vereinfachen – und vor allem den Eltern nahebringen – können, dass er viel öfter stattgefunden hätte.

Und natürlich wären Leistungsgruppen unterschiedlichen Niveaus auch bei der AHS ein Fortschritt. Alle diese Veränderungen hätten weniger ideologische Auseinandersetzungen ausgelöst und besser funktioniert.

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