Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Vierzig Jahre „Skandalrepublik“

Vierzig Jahre „Skandalrepublik“

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Der Einzige, der die Rolle Wolfgang Schüssels im Rahmen der schwarz-blauen Korruptionsfestspiele ganz genau zu kennen glaubt, ist derzeit Peter Pilz: „Er war der Pate.“ Er begründet dieses im Schutz seiner Immunität abgegebene Urteil mit seiner Erfahrung bei den Koalitionsverhandlungen: Da sei es Schüssels erste Frage an die Grünen gewesen, ob sie bereit seien, den Eurofighter zu kaufen.

Nun bin ich zwar mit Pilz überzeugt, dass der Eurofighter-Kauf mit massiver Korruption verbunden war – auf der ganzen Welt (vielleicht mit Ausnahme der Schweiz) ist der Kauf von Militärflugzeugen mit Korruption verbunden, und es wurde sicher auch kein Draken ohne Schmiergeldzahlungen eingekauft –, aber die Beweislage gegen Schüssel scheint mir doch etwas dünn: Zum Zeitpunkt dieser Koalitionsverhandlungen hatte sich die ÖVP schon öffentlich auf den ­Eurofighter festgelegt, und die Grünen hatten (wie ich) den Kauf neuer Abfangjäger ebenso öffentlich als Unsinn abgelehnt. Er war daher das entscheidende Koalitionshindernis.

Differenzierter widmet sich Sibylle Hamann in der ­„Presse“ Schüssels Rolle, indem sie vier Varianten zur Diskussion stellt:

1. „Wende“ und „Privatisierung“ seien nie eine politische Idee, sondern von Anfang an ein Vehikel zur persönlichen Bereicherung gewisser Cliquen gewesen.

2. Schüssel habe den falschen Leuten vertraut.

3. Das „Mitschneiden“ sei in Österreich ein traditioneller, auch von Schüssel akzeptierter Mechanismus zum Füllen der Parteikassen.

4. Schüssel habe die Korruption zu seiner blauen Rechten akzeptiert, um die von ihm für notwendig gehaltene ­„Wende“ exekutieren zu können.
Wie Hamann halte ich 1) für höchst unwahrscheinlich: Schüssels Triebfeder war nicht Geldgier, so sehr er Kanzler werden wollte. „Privatisierung“ war ihm ein entscheidendes politisches Anliegen, seit ich seine Laufbahn verfolge.

Auch 4) scheint mir, wie Hamann, eher unwahrscheinlich: Schüssel war zwar zweifellos bereit, den braunen Geruch seines Koalitionspartners zu akzeptieren, um seine politischen Ziele durchzusetzen, aber ich schließe aus, dass er Korruption bewusst in Kauf genommen hat.

Katastrophale Menschenkenntnis traue ich ihm schon sehr viel eher zu. Wolfgang Schüssel hätte sie mit Bruno Kreisky gemeinsam, dessen Ära mindestens so sehr von atemberaubender Korruption gekennzeichnet war, obwohl er persönlich dafür nichts übrighatte. Und das Problem der Parteienfinanzierung hat zweifellos beide begleitet.

Überhaupt wundere ich mich, dass die Ära Schüssel jetzt allgemein als Gipfel der Korrumpierung angesehen wird und man die Justiz am Höhepunkt der Verlotterung glaubt. Sie war in der Ära Kreisky noch ungleich mehr verlottert: Die Staatsanwaltschaft seines Justizministers Christian Broda war absolut nicht willens, Korruption – die damals zwangsläufig in rote Cliquen führte – aufzudecken. Ihr derzeitiges Vorgehen gegen Grasser & Co ist geradezu sensationell, wenn ich es mit ihrem Verhalten in den großen Skandalen von damals vergleiche. Wenn jetzt betont wird, dass selbst Minister unter Verdacht stehen, so war das damals die Regel: Ein Minister griff in die Gewerkschaftskasse, ein Minister verschaffte einem sechsfachen Mörder gefälschtes Entlastungsmaterial, und der Verteidigungsminister starb mit einem Safe voller Aktien eines Rüstungskonzerns. Der Finanzminister wurde zwar nur wegen Steuerhinterziehung verurteilt, aber sein Vermögen hat sich in seiner Amtszeit mindestens so sehr vergrößert wie das des Karl-Heinz Grasser.

Angesichts von nunmehr fast fünfzig Jahren einschlägiger Recherchen wage ich zu behaupten: Die letzte einigermaßen „saubere“ Amtszeit war die der schwarzen Alleinregierung Klaus von 1966 bis 1970, in der sein Justizminister Hans Klecatsky sogar einen Bauskandal zur Anklage brachte, der ausschließlich unter Schwarzen spielte, und in der man sich noch erregte, weil ein Verteidigungsminister billig zu einer Hütte an einem Badeteich gekommen war.

Korruption, so behaupte ich, ist in Österreich seit damals fester Bestandteil der „österreichischen Identität“. Schon in den siebziger Jahren nannte der „Spiegel“ Österreich in einer Titelgeschichte eine „Skandalrepublik“, nur dass noch etwas weniger als jetzt gerichtsanhängig wurde.

Ursachen? Sicher das hohe Ausmaß, in dem die Politik in Österreich Einfluss auf die Wirtschaft hat. Sicher die, auch aus diesem Grunde, löchrige Antikorruptionsgesetzgebung in Verbindung mit der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft. Aber auch der allgemeine Siegeszug des „Materialismus“. Korruption spielt ja nicht nur im Dunstkreis der Wirtschaftspolitik eine tragende Rolle. Es lassen sich auch Baupolizisten oder Finanzbeamte bestechen, Filialleiter kassieren Prozente, wenn sie Waren ins Sortiment aufnehmen sollen, und Ärzte verkaufen Operationstermine.

Ich würde die private Raffgier selbst im Rahmen der schwarz-blauen Korruption für das zentrale Motiv halten: Weil sie sich privat bereichern wollen, betreiben die Akteure auch etwas Parteienfinanzierung – sie ist das Schweigegeld, das sie an die Politik bezahlen.

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