Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Von Milliardären lernen

Von Milliardären lernen

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Wenn es Johannes Calvin vorherbestimmt war, in den Himmel zu kommen, was ich angesichts seines ebenso fleißigen wie wohltätigen Lebenswandels wohl annehme, so blickt er derzeit freudig auf die USA herunter: Angeführt von Bill Gates und Warren Buffett, haben bekanntlich gleich vierzig Milliardäre beschlossen, die Hälfte ihres Vermögens wohltätigen Zwecken zu widmen. Sie handeln damit in erstaunlicher Übereinstimmung mit der Geisteshaltung, die Max Weber als calvinistische Wurzel des Kapitalismus bezeichnet hat: Es ging ursprünglich nicht darum, Reichtum zu schaffen, sondern Gutes zu tun.

Bekanntlich vertrat der Schweizer Reformator Calvin die so genannte Prädestinationslehre. Er war überzeugt, dass ein allwissender und allmächtiger Gott selbstverständlich auch weiß und vorherbestimmt, wer in den Himmel und wer in die Hölle kommt. Seinen Anhängern im 16. Jahrhundert leuchtete das durchaus ein, denn es ist mit Gottes Allmacht weit eher vereinbar als die Willensfreiheit.

Aber naheliegenderweise wollte jeder von ihnen nur zu gerne wissen, ob ihm nun der Himmel oder die Hölle bevorstand, und Calvin kam nicht umhin, Indizien zu nennen, an denen man das erkennen könne: Von einem Manne, der fleißig schaffe, sparsam lebe und vor allem viel Wohltätiges tue, sei wohl anzunehmen, dass er zu den Auserwählten zählt, die in den Himmel kommen. Calvins Anhänger bemühten sich, diese Tugenden ­vorzuleben. Indem sie fleißig schafften und sparsam lebten, gelangten sie zu Reichtum, der es ihnen gestattete, wohl­tätig zu sein.

Das, extrem verkürzt, ist für Max Weber die religiöse Wurzel der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die daher in calvinisch-protestantischen Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden und den USA weit erfolgreicher als in den katholischen Ländern Fuß fasste, wo die Geldwirtschaft noch dazu durch das Zinsverbot behindert war.

Das, was in der Folge passiert ist – dass der Reichtum für sich als Indiz gottgefälligen Lebens angesehen wurde –, hätte Calvin als teuflische Pervertierung gewertet. Gar so Unrecht hätte er damit angesichts des aktuellen „Raubtierkapitalismus“ nicht gehabt.

Obwohl ich ein überaus unreligiöser Mensch bin, glaube ich, dass es ganz nützlich ist, sich der zitierten religiösen Wurzeln der kapitalistischen Entwicklung zu erinnern: Kapitalismus war mit Moral verbunden – es führt zu Problemen, wenn eine Gesellschaft wirtschaftliches Handeln ohne jedwede Zielrichtung betreibt.

Was Warren Buffett und Bill Gates vorführen, ist daher mehr als der Spleen von zwei Männern, die es sich leisten können, weil selbst noch die Hälfte ihres Vermögens täglich mehr Zinsen trägt, als sie in ihrem ganzen Leben ausgeben können – es ist ein Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verantwortung einer Wirtschaftsordnung, die unglaublichen Reichtum zu schaffen vermag.

Dieselben Milliardäre haben vor ein paar Jahren, als George W. Bush die amerikanische Erbschaftssteuer von 55 Prozent erheblich senken wollte, in einer Inseratenkam­pagne gegen diese Senkung protestiert. Denn auch Steuersysteme haben abseits ihrer jeweiligen Effizienz etwas mit innerer Einstellung und Moral zu tun.

Ich hole so weit aus, weil man in der ÖVP so überhaupt nicht begreift, dass die „Vermögensteuer“ abseits ihres vermuteten Ertrags auch etwas mit wirtschaftlicher Moral zu tun hat: Es ist kein Appell an die „Neidgesellschaft“, wenn die Forderung erhoben wird, dass besonders Wohlhabende besonders viel zum allgemeinen Wohlergehen beitragen mögen, sondern es ist ein Appell ans Gerechtigkeitsempfinden.

Selbst wenn es stimmte, dass Vermögensteuern, wie die ÖVP behauptet, „kaum mehr einbringen, als sie an Verwaltungsaufwand kosten“ – was natürlich nicht stimmt, sondern blanke Irreführung ist –, wäre es dennoch sinnvoll, sie einzuführen, weil sie den Glauben des Bürgers in die Gerechtigkeit des Steuersystems stärkten. Denn auch dieser Glaube – oder Zweifel – ist höchst wirtschaftsrelevant: Er lässt ihn seine ­eigenen Steuern korrekt bezahlen – oder hinterziehen.

Finanzminister Josef Pröll sollte zumindest über diesen Zusammenhang zwischen Steuermoral und Steuerge­rech­tigkeit nachdenken, wenn er sich zu „Vermögensteuern“ ­äußert.

Nur kurz zur Ergiebigkeit: In Österreich verfügt das oberste Promille der Bevölkerung über so viel Geld wie die unteren 50 Prozent, und die oberen zehn Prozent verfügen über 60 Prozent des Immobilienvermögens. Der Wert, zu dem diese Immobilien steuerlich bemessen werden, liegt seit Ewigkeiten bei einem Bruchteil ihres Verkehrswerts – ich gebe zu, dass eine Vermögensteuer unter solchen Voraussetzungen nicht sehr ertragreich ist.
Sie ist es natürlich sofort und ist auch ganz leicht zu administrieren, wenn man die Einheitswerte anhebt, wobei man ja keineswegs gleich 90 Prozent des Verkehrswerts erreichen muss. Natürlich kann man eine Freigrenze schaffen, die die „Schrebergartenhäusln“ ausnimmt, und natürlich nimmt der „kleine Mann“ die geringfügige Erhöhung, die die Mieten erführen, gerne in Kauf, wenn ein deutlich höheres Vermögensteueraufkommen ihm höhere Lohn- oder Mehrwertsteuern erspart.

Jedes einzelne Argument, das die ÖVP im Zusammenhang mit der Vermögensteuer vorbringt, ist leider dumm oder falsch oder beides.
Wenn sie doch nur begriffe, dass ihre Ablehnung der ­Vermögensteuer außerdem noch ein moralisches Defizit ­offenbart.

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