Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Warum nicht „Fußgängerstadt“?

Warum nicht „Fußgängerstadt“?

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Ich zähle zu den ältesten Exemplaren einer hierorts bedrohten Art: Ich bin Fußgänger. Und zwar nicht im Sinne des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl – „ein Fußgänger ist ein Autofahrer, der so glücklich war, einen Parkplatz zu finden“ –, sondern im Sinne von Thomas Madreiter, dem neuen Planungsdirektor der Stadt Wien: „In Wien braucht man kein Auto
Höchstens einen Panzer – Wien ist Radfahrstadt.

Leser meiner Kolumne wissen, welche Bedrohung das für meine Art bedeutet. Ich will der Gegendarstellung der Radfahr-Gemeinde trotzdem angemessenen Raum geben: Bloß weil man mich einmal auf dem Gehsteig niederfahren hat und weil ich ein andermal einem Radfahrer vor einem anhaltenden Auto in die Speichen gerannt bin, hätte ich kein Recht, diese ökologisch so wertvollen Spezies verallgemeinernd anzuprangern.

Tue ich nicht: Als vor ein paar Tagen eine Radfahrerin von der Mariahilfer Straße in eine Gruppe von Passanten einbog, die gerade auf dem Zebrastreifen die Stiftgasse überquerte, tat ich alles, um Aufruhr zu vermeiden: Daran ­müsse man sich gewöhnen. Der siebente Bezirk führt die Rad­fahrstadt an.

Wenn ich seinerzeit behauptet habe, der schlimmste Feind des Fußgängers – der Autofahrer – sei durch „Zebrastreifen“ und strenge Gerichtsurteile relativ gezähmt, so habe ich diesmal Platz genug, das in die notwendigen Wiener Zusammenhänge zu rücken: Er überfährt unser­einen relativ selten auf dem Zebrastreifen – er verscheucht uns. Und die Ampeln geben ihm Recht.

Wenn ich aus meiner Wohnung in der Burggasse dem Burggarten zustrebe – als Fußgänger will man auch manchmal unter sich sein –, dann muss ich davor beim Volkstheater die Museumsstraße und vor dem Volksgarten den Ring überqueren. Noch kann ich beides: Wenn ich in der Sekunde starte, in der meine Ampel grün wird, dann kann ich die rettende andere Straßenseite rechtzeitig erreichen, ohne ­einem wütenden Autofahrer in die Schnauze zu schauen. Aber wehe, ich war erst auf der Höhe des Würstelstandes am oberen Ende des Volkstheaters, als es schon Grün geworden ist: Dann kann ich noch so sehr rennen, ich werde nicht vor „Rot“ wieder in Sicherheit sein.

Eine ältere Dame mit Osteoporose möchte ich mir bei dieser Gelegenheit gar nicht erst vorstellen.

Aber die eigentliche Prüfung kommt erst: Wiens Zebrastreifen nehmen nämlich die Radwege aus. Am Ring bedeutet das, dass man – wenn man losgerannt ist und den rettenden Volksgarten-Gehsteig schon beglückt im Visier hat – übersieht, dass man mitten auf der Kreuzung zwischen einem der meistbefahrenden Radwege und einem der meistbegangenen Fußgeher-Übergänge landet.

Wer dort Vorrang hat, weiß ich nicht. Auf der Skipiste wäre es der Schwächste, Langsamste – vor dem Volks­garten ist es der an dieser Stelle Schnellste, Stärkste. Er klingelt mich ohne Rücksicht auf einen Herzinfarkt in die Flucht.

Angeblich gibt es neben einem Radfahr-Beauftragten in Wien auch einen Fußgänger-Beauftragten. Zwei ­Fürbitten:
Er möge erwirken, dass die Zebrastreifen auch über die Radwege reichen, so dass unsereins dort den gleichen ­gesetzlichen Schutz wie beim Überqueren der Straße ­genießt.
Und er möge alle Wiener Kreuzungen zusammen mit ­einer älteren Dame überqueren und die Zeiten der Grünphasen mit Rücksicht auf sie, nicht mit Rücksicht auf die Meute aufheulender Autofahrer festlegen.

So geschieht das zum Beispiel in New York, das ich Fußgängern überhaupt als Eldorado empfehlen möchte. Der individuelle Autoverkehr hat sich dort auf kapitalistischem Weg von selbst so reduziert, wie Maria Vassilakou das mittels Parkraumbewirtschaftung schaffen will: Parken in der Stadt ist wegen des knappen Bodens unerschwinglich, so dass so gut wie niemand das eigene Auto benutzt.

Praktisch nur (erschwingliche) Taxis beziehungsweise Mietwagen und Autobusse befahren die Straßen. Gastfreundlich: Mich, als älteren Herren, hat der Autobus, der mich zu einem Museum bringen sollte, sogar ohne Station an der nächstgelegenen Kreuzung aussteigen lassen, nachdem davor der Lenker allen älteren Damen ohne Rücksicht auf die Dauer der Stopps sogar persönlich beim Einsteigen geholfen hat.

Wenn möglich bin ich freilich zu Fuß gegangen. Denn für Fußgängerampeln gibt es entlang noch so langer Straßenzüge die „grüner Welle“: Sie sind so geschaltet, dass man bei gemütlichem Gehen von einer Kreuzung zur nächsten stets wieder „grün“ hat.

Der Autoverkehr hat sich dem unterzuordnen, und ­reduziert wie er ist, tut er das auch.

London hat einen anderen Weg zum Schutz des Fußgängers gewählt: Es gibt dort nirgends eine breite zu überquerende Straße ohne Fußgängerinsel in ihrer Mitte. Man überquert immer nur eine, und dann die nächste Hälfte der Straße, auf der der Verkehr auch stets in beide Richtungen fließt und daher nie, wie am Wiener Ring, ins Rasen kommen kann.

Auch in London sind die Wartezeiten für Fußgänger daher ungleich kürzer als in Wien und sie haben fürs Gehen mehr Zeit.

Sie vermehren sich in diesen beiden Weltstädten daher auch außerhalb gehegter „Fußgänger-Zonen.“ Es sind „Fußgänger-Städte.“

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