Peter Michael Lingens: Wer an Ratings glaubt, ist selber schuld

Peter Michael Lingens: Wer an Ratings glaubt, ist selber schuld

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Die Rating-Agentur Moody's droht der Republik Österreich mit dem Verlust der Top-Bonitätsnote Aaa, entnehme ich der „Presse“. Sie hat den Ausblick von stabil auf negativ gesenkt und „drastische Worte für den stotternden Konjunkturmotor“ gefunden, die „die Presse gerne wiedergibt: „Die Widerstandsfähigkeit gegen Finanzschocks sei am Erodieren und hindere das Land, den in der Wirtschaftskrise verlorenen Rückstand aufzuholen.“

Auch für Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) ist „der verschlechterte Ausblick von stabil auf negativ ein Weckruf, dass wir in entscheidenden Bereichen konsequenter vorgehen müssen: Besonders beim Rating, das für viele Investoren als Gradmesser für die Attraktivität eines Standortes herangezogen wird, darf Österreich nicht ins Mittelfeld fallen.“

Hier will ich Schelling und meine Leser trösten: Für Investoren von einiger Sachkenntnis sind die Länder-Ratings von Moody´s, Standard and poor´s oder Fitch spätestens seit der Finanzkrise ohne jede Bedeutung. Nicht nur haben diese Agenturen die Bonität der wertlosen Immobilien-Derivate, die die Finanzkrise auslösten, durchwegs besser als die der besten realen Unternehmen eingeschätzt und sich bei der Bewertung des Verlustrisikos zwischen 200 und 400 Prozent geirrt. Aber das konnte man vielleicht noch mit einem Interessenskonflikt erklären – sie haben an der positiven Einschätzung dieser Papiere prächtig verdient. Doch beim Abschätzen der Bonität und des Risikos von Ländern sind sie ohne vergleichbaren Interessenskonflikt mindestens so falsch gelegen.

In Wirklichkeit spiegelte das zitierte Spanien-Rating vor allem wirtschaftswissenschaftliche Ideologie wider.

Ich zitiere aus Moodies Gutachten für Spanien im Jahr 2007: „In seinem aktuelle Jahresreport bestätigt moody`s „investor service“ das Aaa-Rating des Landes mit seinem stabilen Ausblick. Beides spiegelt die fortdauernde fiskalische Konsolidierung und die strukturellen Reformen auf der Basis einer klugen Fiskalpolitik, die Budget-Überschüsse und eine robuste Wirtschaft umfasst.“ „Die aktuellen Budgetüberschüsse stehen in wohltuendem Gegensatz zu den sich ausweitenden Budgetdefiziten viele anderer Staaten der Eurozone, erklärte Moody`s Vizepräsident Alexander Kockerbec“.

Ein Jahr später stürzte Spanien auf Grund seines Mangel an industrieller Produktivität, seiner desolaten Leistungsbilanz und der von seinen Banken und ihrer fiskalischen Aufsicht zugelassenen Fehlinvestitionen in unverkäufliche Immobilien in die aktuelle Krise. Und das ist die Agentur, deren Ausblick für Österreich „die Presse“ oder Hans Jörg Schelling ernst nehmen.

In Wirklichkeit spiegelte das zitierte Spanien-Rating nicht nur haarsträubende sachliche Unkenntnis, sondern vor allem eine bis heute aufrechte wirtschaftswissenschaftliche Ideologie wider: Ein niedriges Budgetdefizit und geringe Staatschulden wurde und wird für den entscheidenden Nachweis guten Wirtschaftens einer Volkswirtschaft gehalten. Spanien hatte damals unter seiner neoliberalen Regierung mit 34 Prozent die niedrigste Staatsschuldenquote der EU (eine ungleich niedrigere als Österreich oder Deutschland). Nur dass das in Wirklichkeit viel zu geringe staatliche Investitionen etwa in Entwicklung und Forschung oder in eine gute Verwaltung signalisierte.

Ich will auch nicht behaupten, dass der aktuelle, von Moody´s geäußerte eher negative Ausblick für Österreich unbedingt falsch sein muss.

Um an dieser Stelle abermals ein Missverständnis zu vermeiden: Damit will ich nicht behaupten, dass Staatschulden nicht auch zu hoch sein und tatsächlich ein dramatisches Problem darstellen können – nur ist das eine ungemein komplexere Frage, deren Beantwortung u.a. davon abhängt, bei wem die Schulden gemacht wurden (und wer daher von den Zinsen profitiert) und seit wann und wofür sie gemacht worden sind. Aber die automatische Gleichsetzung von niedrigen Staatsschulden mit gutem Wirtschaften ist mit Sicherheit –Spanien beweist es- totaler Quatsch.

Ich will auch nicht behaupten, dass der aktuelle, von Moody´s geäußerte eher negative Ausblick für Österreich unbedingt falsch sein muss: Die Agentur prophezeit nur 1,2 Prozent Wachstum, anstelle der erwarteten 1,7 Prozent - und es war in den letzten Jahren selten falsch, die Wachstumserwartungen zu reduzieren.

Auch der Hinweis, dass die hohen Lohnsteuern die Beschäftigung erschweren, der von der OECD seit zwanzig Jahren erhoben wird, ist auch von Seiten Moody´s sicher nicht falsch. Ja ich freute mich, wenn Schelling und die ÖVP ihn ernst nähmen und zum Beispiel endlich auch dem Rat der OECD folgten, die Vermögensbezogenen Steuern zu erhöhen, um die Lohnsteuern zu reduzieren. Aber dort, wo wirtschaftliche Möglichkeiten auf der Hand liegen und sich logisch begründen lassen, ist Schelling so blind wie seine schwarzen Vorgänger. Was er beachten wird, ist Moody´s Hinweis auf die erodierende Fähigkeit, Finanzschocks zu bewältigen, weil die Staatsschulden angestiegen sind.

Noch einmal um Missverständnisse zu vermeiden: Ich halte Staatschulden nicht für irrelevant – bloß für längst nicht so entscheidend. Und ich sehe durchaus Etliches, das in Österreich dringend verbessert werden sollte, weil es den Ausblick auf seine Zukunft eintrübt: Voran das mäßig funktionierende Schulwesen; die zu geringe Finanzierung von Grundlagenforschung an wichtigen Universitäten (etwa der überragenden montanistischen Hochschule in Leoben oder mittlerweile auch immer gefragteren Hochschule für Bodenkultur in Wien); und natürlich gehört der Föderalismus endlich vernünftig gestaltet.

Aber in allen diesen Fragen ist das heimische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) ganz ungleich kundiger als Moody`s.