Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Diplomatischer Dunst

Diplomatischer Dunst

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Der Botschafter hatte jetzt keine Zeit für so was. Er wusste ohnehin schon den ganzen Tag nicht, wo ihm der Kopf stand.

Es war ja schon in aller Früh klar gewesen. Dieser Tag hatte gleich über die Maßen unerfreulich begonnen – und hatte dann stark nachgelassen.
Als der Botschafter vom Frühstückstisch aufgestanden war, war er auf ein Kügelchen Kaviar getreten. Dies hatte, wie jedermann zwischen Sotschi und Swerdlowsk mit von Grauen verzerrter Miene sofort bestätigen würde, einen Fleck riesenhaften Ausmaßes auf dem von emsigen kleinen Kinderhänden im Nordkaukasus gewebten Teppich aus strahlend weißer Karakulschwanzwolle zur Folge. Seine Residenz war evident eminent ruiniert!

Dabei hatte er seinem Hund doch schon hundert Mal erklärt, dass er sich keinen Kaviar nehmen solle, wenn er ihn dann nicht aufesse.
Kaum war der Botschafter wenig später in ohnehin schon nicht rückhaltlos prächtiger Stimmung im Büro eingetroffen, eröffnete ihm sein erster Sekretär, dass Moskau den Bericht mit allem, das sich seiner Einschätzung nach über den österreichischen Bundeskanzler zu wissen lohnte, zurückgewiesen habe. Man brauche noch mehr Informationen, monierte vor allem jene Abteilung, die Informationen mehr als alles andere schätzte. Missmutig öffnete der Botschafter den Akt. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er hatte diesen Akt nach bestem Wissen und Gewissen bearbeitet. Er hatte mit allen gesprochen, die Informationen liefern konnten. Allen Beobachtern, Analytikern, Spionen. In diesem Akt war minutiös alles aufgelistet, was es zu diesem Thema zu sagen gab.

Gut, womöglich hätte sich ein dritter Satz schon rein optisch nicht schlecht gemacht. Neben: „Sein Name ist Michel Spintelecker. Glaube ich.“
Moment mal. War das nicht der andere?

Nach einer quälenden halben Stunde der Ungewissheit klappte der Botschafter den Akt mit einem ausgedehnten Seufzer wieder zu. Wien. Schon schlimm genug, hier gelandet zu sein. Wenn er damals, als Putin bei diesem Bankett zur Feier des tschetschenischen Abhängigkeitstages diesen Witz erzählt hatte, bloß ein wenig lauter gelacht hätte – dann säße er jetzt vielleicht in London. Oder Peking. Dann säße er in einem richtigen Land und nicht in einem grotesken Zwergstaat mit einem Staatsvertrag und vielen Gaslieferverträgen, der die Größe des Bezirks Jakutsk-Nord hatte.
Unter dem Akt lag außerdem eine Einladung zur „Schwanensee“-Premiere. Was konnte er dafür, dass Tschaikowsky Russe gewesen war? Er hasste Ballett.

Ja, diese Geschichte mit der Verhaftung seines untadeligen Landsmannes, die war schon einmal etwas Besonderes gewesen. Hatte ihn immerhin ein, zwei Anrufe gekostet.

Doch, ja. Das fiel hier schon unter besonders.

Keine Einladung zu den Obamas nach Camp David; kein angeregter Smalltalk mit Hillary; kein Yachtwochenende mit den Sarkozys; keine Party bei Berlusconi. Nein. Ein Staatsanwalt am Telefon.
Der Botschafter fühlte sich mit einem Mal wie eine Figur aus einem Dostojewski-Roman. Er war ganz entschieden urlaubsreif. Ja, er brauchte einen Tapetenwechsel. Vielleicht sollte er an einen Ort reisen, an dem wenigstens ein bisschen was los war. Die Tundra oder so.

Und er konnte jetzt auch ganz unmöglich den nächsten Termin wahrnehmen. Beatrix Karl. Die Langeweile, die den Botschafter jetzt schon umfing, würde unweigerlich zu einer Zungenlähmung führen und das Gespräch möglicherweise ins noch Peinlichere abgleiten lassen als bei einem Fantreffen dieser Art ohnehin schon üblich.

Obwohl es ja anerkennenswerterweise nett gemeint war von der Kleinen. Sie sah ein, dass das Ganze von Anfang an ein schrecklicher Fehler gewesen war und der Botschafter sich nicht die Nacht um die Ohren schlagen hätte müssen, wenn gleich alle Beteiligten auch ohne seine konsularische Hilfestellung vernünftig gewesen wären. Und sie wollte sich halt entschuldigen, dieses gut erzogene Mädchen. Wollte nächsten Winter eben auch heizen.

Und kränken musste er sie nun ja auch nicht gleich. Bei aller Härte in ihrem Geschäft sollte man am Ende schließlich immer noch menschlich bleiben. Also musste er beim Durchblickenlassen, dass er nicht die geringste Lust hatte, sich seinen ohnehin schon versauten Tag mit ein wenig Smalltalk mit einer Ministerdarstellerin eines B-Staatsmovies noch mehr zu versauen, wenigstens ausgesucht diplomatisch vorgehen.

Der Botschafter rief seinen Sekretär. „Schreiben Sie der Justizministerin: Liebe junge Dame! Ich habe mich über die Mozartkugeln und die Doppel-Magnum Wachauer sehr gefreut und kann Ihnen versichern, dass ich wegen der kleinen Unannehmlichkeit mit der irrtümlichen Verhaftung meines Freundes nicht mehr weiter verstimmt bin. Leider ist es mir aber unmöglich, Sie persönlich zu empfangen, weil ich jetzt nämlich dringend aufs Klo muss und nachher ‚Mein cooler Onkel Charlie‘ im Fernsehen ist.“
Und dann zerriss der Botschafter auch noch die Einladung zu „Schwanensee“.

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