Satire

Herzdame Schilling

Die Grünen haben natürlich recht: Die Kampagne gegen die grundehrliche Lena Schilling ist ein antifeministischer Skandal.

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Bei den Grünen verlief heute wieder einmal alles nach Plan. Man war wie immer flächendeckend damit beschäftigt, 24/7 edel, hilfreich und gut zu sein, alle hatten in der Früh ihre Moralindusche genommen, waren also wohlriechend und total engagiert, die erhobenen Zeigefinger waren alle poliert und jederzeit einsatzbereit. Grünes Business as usual also.

Fast.

Denn dass Werner Kogler jetzt schon seit Stunden an seinem nächsten denkwürdigen Auftritt vor der Presse feilte, war natürlich den Umständen geschuldet, die eine furchtbar böse Welt den armen Grünen aufgezwungen hatte. Da konnte es schon einmal passieren, dass man sich mit der Unterscheidung zwischen Jovialität und Primitivität ein bisschen schwertat. Und gerade an Letzterer musste der Werner noch arbeiten, denn auf einen groben Klotz gehörte ja wohl allemal ein grober Keil.

Denn eines war ja wohl sonnenklar: Anonym und anonym – das waren zwei Paar Schuhe, aber so was von. Vor allem, wenn es um die Kombination von anonymen Vorwürfen mit Feminismus ging – beziehungsweise dem, was sicherlich starke zehn Prozent der Bevölkerung heutzutage dafür hielten. Wenn es zum Beispiel anonyme Anschuldigungen gegen den Rammstein-Sänger gab, war es bei den Grünen klarerweise feministisch geboten, umstandslos Fackeln und Heugabeln auszupacken und unter feierlicher Absingung von „Hängt ihn höher!“-Chorälen durch Social Media zu ziehen. Wenn es hingegen anonyme Anschuldigungen gegen eine grüne Kandidatin gab, die offensichtlich gewohnheitsmäßig Frontalzusammenstöße mit der Wahrheit hatte, war es bei den Grünen feministisch geboten, diese sofort als misogyne Kampagne zu enttarnen und Aussagen von 50 Zeugen als „Gefurze“ zu klassifizieren. Diese Abneigung gegen anonym Vorgebrachtes würde sich bei den Grünen jetzt sicherlich lange halten. Zumindest so lange, bis die nächsten anonymen Vorwürfe auftauchten, die sich dann hoffentlich wieder gegen jemand richteten, dem man schon auf den ersten Blick ansah, dass er es verdient hatte. Also jedenfalls einmal: gegen einen Mann. Man hatte es halt nicht einfach als Feminist:in. Und die Wahrheit war ohnehin eine Tochter der Zeit, wie es einst schon der feministische Vorkämpfer Andreas Khol dekretiert hatte.

Werner ärgerte sich auch, dass man ihm und den anderen Altvorderen der Grünen jetzt vorhielt, nach vielen Absagen panisch eine unreife 23-Jährige zur Spitzenkandidatin gemacht zu haben, ohne sich vorher viel mehr angeschaut zu haben als ein paar elegante Instagram-Posen. Und seit wann war es bitte für einen Spitzenjob in Brüssel nicht mehr genug, a) weiblich und b) jung und darüber hinaus c) nicht nur ein Herzerl zu sein – sondern sogar unfallfrei eines mit den Händen formen zu können?

Außerdem störte Kogler, dass jetzt überall so getan wurde, als gehe es bei einem der Hauptvorwürfe bloß um einen internen Raufhandel zwischen gewohnheitsmäßigen Wichtigtuern, die schon immer der total uneigennützige Schnittlauch auf jeder noch so streng riechenden linken Aktivistenbrühe waren. Ja, man konnte sehr wohl mit der schrecklich netten Familie Bohrn Mena befreundet sein – warum denn auch nicht? Man konnte sich ja schließlich auch einen rostigen Nagel ins Knie hauen, in einer Jauchegrube schnorcheln gehen oder freiwillig mit Harald Vilimsky Bruderschaft trinken, wenn einem danach war. Und gemeinsam ausgelebter Geltungsdrang und grundehrliches Virtue Signalling waren schließlich ein toller Kitt für viele Freundschaften im Juste Milieu. Schwierig war ja bloß, dass diese so schöne Freundschaft leider nicht gehalten hatte und jetzt dort endete, wo ja auch jede Freundschaft zwischen Normalos, also weniger eminent wichtigen und extrem guten Menschen, quasi immer endete: vor Gericht.

Das alles war natürlich sehr bedauerlich. Aber es gab überhaupt keinen Grund, von der eingeschlagenen Verteidigungsstrategie abzugehen. Ohne ein ordentliches Opfernarrativ war man im postmodernen Feminismus ohnehin unter ferner liefen, insofern war es ja ganz gut, dass Lena Schilling jetzt endlich auch eines hatte. Und selbst der Bundespräsident war ja geneigt, der lieben Lena den einen oder anderen Lapsus nachzusehen, wechselte er doch umstandslos von „So sind wir nicht“ angesichts von Fehltritten ihm politisch nicht ganz so nahestehender Menschen zu einem gütigen „Wem ist denn bitte so was noch nie passiert, als er jung war?“ Genau. Wer noch nie jemandem mit erfundenen sexuellen Belästigungen schaden wollte, der werfe den ersten Stein! Und im Übrigen sollten wir uns jetzt alle miteinander besinnen und uns wieder den wirklichen Problemen zuwenden. Also der toxischen Männlichkeit. Aber über die schreibt der „Standard“, dieser alte weiße Mann der heimischen Medienlandschaft, ja leider nie.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort