Rainer Nikowitz: Der Mann mit Eigenschaften

Sie ist da! Die offizielle Biografie von Sebastian Kurz! Und sie strotzt nur so vor kritischer Distanz. Zu viel für unseren Geschmack.

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Hedwig Courths-Mahler lebt nicht nur – sie arbeitet sogar noch immer. Ihr jüngster Coup: die eben erschienene, offizielle – also von der ÖVP approbierte – Biografie von Sebastian Kurz. Und die gute Hedwig hat weder in Sachen Storytelling noch Stil auch nur irgendwas von ihrem großen Können verlernt. Kein Wunder also, dass nach diesem Kracher ein Folgeauftrag nach dem anderen hereintrudelt: Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan, Kim Jong-un und sogar Andreas Gabalier möchten sich mit ebenso großer kritischer Distanz porträtiert sehen wie unser Altkanzler der Herzen. Da dieser aber bekanntlich sehr bescheiden ist, waren ihm manche Passagen in diesem Werk, das in nahezu jeder Hinsicht neue Standards setzt, zu viel – ja sogar fast ein wenig peinlich. Und wiewohl sie natürlich den Tatsachen entsprechen, veranlasste Kurz höchstpersönlich deren Streichung. Aber wir haben sie natürlich!

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Zu behaupten, dass Sebastian Kurz ein schönes Baby war, würde der in Goldlamé verpackten Wirklichkeit ähnlich spotten wie eine aufgeweckte Drossel im blühenden Ginster der tumben Taube in der Dachrinne. Sebastian war nicht schön – er war umwerfend. Die Hebamme verfluchte sich in der Sekunde, in der sie seiner, der völlig sauber und bereits mit gegeltem Haupthaar in die Welt trat, ansichtig wurde, dafür, 35 Jahre älter als er zu sein – schwor sich aber dennoch, auf ihn zu warten.

Dass Sebastian ausgerechnet an einem 27. August – es war selbstredend ein strahlend schöner Sommertag, der jubilierende Himmel schien genau zu spüren, was er diesem ganz besonderen neuen Erdenbürger schuldig war – geboren wurde, war natürlich kein Zufall. Schließlich hatte schon auf den Tag genau 103 Jahre zuvor ein beinahe ebenso gewaltiges Naturereignis die Welt den Atem anhalten lassen: der Ausbruch des Vulkans Krakatau. Und auch, dass Klein-Sebastian im Zeichen der Jungfrau zu uns entsandt wurde, muss von der höheren Macht, die es in diesem Fall so gut mit uns meinte, genauso geplant gewesen sein – hat er es doch seither nie wieder verlassen.

Als die Hebamme Sebastians ansichtig wurde, schwor sie sich, auf ihn zu warten.

Auch die Schwestern auf der Säuglingsstation, an sich brave Frauen, die aber leider nur an drei von vier Tagen zwölf Stunden lang arbeiteten, merkten gleich, dass hier etwas deutlich anders war als sonst. Noch nie hatten sie ein Baby gesehen, das vom ersten Tag an selbstständig auf die Toilette ging. Und wenn Sebastian sie wieder verließ, hing ein deutliches Aroma von Lavendel und Lakritze in der dankbaren Luft. Das zog sich überhaupt wie ein türkiser Faden durch die gesamte glückliche Kindheit unseres jungen Altkanzlers: Er war allen anderen weit voraus. Der kleine, so unfassbar liebenswerte Racker, konnte mit einem Jahr schon vollkommen überzeugend so tun, als interessierten ihn seine Mitmenschen. Sein erstes Wimmerl hatte er mit zwei, auf seiner süßen Stupsnase, die ihn noch heute im Verein mit seinem spitzbübischen, nie vorm Spiegel geübten Lächeln dermaßen unwiderstehlich macht. Mit viereinhalb begann er sein Jusstudium und brach es mit fünfeinviertel eine Prüfung vorm Ende wieder ab, als er sich mit den Strafrechtsreformen Christian Brodas konfrontiert sah.

Dieser Vorsprung auf alle anderen ist ihm im Übrigen bis heute geblieben – eigentlich lebt Sebastian ja schon im Jahr 2032. Einzig in der Sandkiste erwies sich seine himmelhohe Überlegenheit nicht immer von Vorteil, da sie von den belämmerten, sicherlich gewerkschaftlich organisierten Schauflern natürlich bemerkt wurde – und sie daraufhin ihre Schmutzkübel über ihm ausleerten. Aber immerhin lernte er dadurch einen seiner treuesten Mitstreiter kennen: Als er nämlich rufend auf seine missliche Lage aufmerksam machte („Silberstein!!“), eilte Harald Mahrer zu Hilfe, der sich damals als Parksheriff, Leibwächter, Vorsitzender der jungen Wirtschaft, Fußballprofi und Astronaut ein bisschen was zu seinen sieben Aufsichtsrats- und neun Parteifunktionen dazuverdiente. Und schon wurde Geschichte geschrieben!

Bei der Jungen ÖVP wiederum half Sebastian seine ungewöhnliche Reife, denn dort, auf der Insel der besonderen Kinder, durfte man vieles sein – aber sicherlich niemals jung. Kein Wunder, dass der gute Michael Spindelegger gleich auf ihn aufmerksam wurde – und der böse Reinhold Mitterlehner viel zu spät. Und der Weg war frei für die schönste Liebesgeschichte, von der man seit Langem gehört hat: jener zwischen dem guten, lieben, umgänglichen, freundlichen, umsichtigen, klugen und vor allem so sympathischen Sebastian – und dem Land der Macht!

Lesen Sie in der Fortsetzung nächste Woche: Kurz und die Frauen („Sebastian, ich will eine Lohnnebenkostensenkung von dir!“), Kurz auf neuen Wegen („Diese Route 66 ist die nächste!“), Kurz in aller Munde („Du Opfa!“) sowie Kurz und die Zukunft („Er kam, sah und versiegte“).

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort