Satire

Rainer Nikowitz: Nachbar in Not

Wir dürfen die Deutschen in einer ihrer schwersten Stunden nicht allein lassen. Es ist unsere moralische Pflicht, fußballerische Entwicklungshilfe zu leisten.

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Wien, Jänner 2023. Das gerade zu Ende gegangene Trainingscamp der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Österreich war ein voller Erfolg. Es hat sich als völlig richtige Entscheidung erwiesen, dass die Deutschen jene Zeit, die andere Nationen in den letzten Wochen damit verbracht haben, einen Weltmeister zu küren, endlich zum Aufbau eines fußballerischen Grundstocks  nutzten – und sich dabei von Österreich helfen ließen. Wir sind da ja nicht so.

Schon der erste Tag bei diesem neuen Brennpunkt-Projekt der bislang ohnehin sträflich unterdotierten österreichischen Entwicklungshilfe sorgte für ebenso große wie leuchtende Augen bei den deutschen Profis. Schließlich fassten sie ja ganz zu Beginn ihre Ausrüstung aus. Und dabei waren, man glaubte es kaum,  neben Leiberln und Trainingshosen auch: Schuhe!! Echte Fußballschuhe! Aus Leder und allem. Die hatten manche von ihnen noch nicht einmal aus der Nähe gesehen. Geschweige denn jemals in ihnen gespielt. Joshua Kimmich strahlte Manuel Neuer an wie ein Frischverliebter, Thomas Müller ließ einen zünftigen bayerischen Juchazer erschallen. Und Niklas Süle hatte gar eine Träne im Augenwinkel – die erste seit dem Sekundentod seines Meerschweinchens in der Volksschule. 

Sollten die harten Zeiten als Bloßfüßige jetzt wirklich zu Ende gehen? 

Bei der Auswahl der einzelnen Lehrgangsleiter hatten Andi Ogris und Frenkie Schinkels, die von der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit mit der Oberhoheit über diesen Akt sportlicher Nächstenliebe betrauten Experten, wirklich nichts dem Zufall überlassen. Am wichtigsten war hier sicherlich der Bereich „Technik“, angesichts der Holzfuß-Pandemie, die nun schon geraume Zeit nördlich unserer Grenzen wütet. Hier konnte ein alter Freund und langjähriger Mitarbeiter von Ogris gewonnen werden, nämlich der Schlapfen-Schurli aus dem Stadionbad. Der Schurli schafft zwar die 100 Meter vielleicht nicht mehr ganz unter 30 Sekunden, seit ihm die Kaisermühlener Knochenbrecher damals im als „Schlacht von der Spenadlwiese“ in die heimische Fußballgeschichte eingegangenen Finale um den Badkicker-Cup 1998 den Meniskus pulverisiert haben – aber er kann immer noch gaberln wie kein zweiter. Er kann es sogar mit einem Krügerl in der Hand, das voll ist. Also, am Anfang. Und: Er kann es auch noch in Badeschlapfen. Leroy Sané maulte zwar kurz, dass das ja unfair wäre, wo die Nationalmannschaft doch nur normale Fußballschuhe bekommen hätte – und sich an die auch noch gewöhnen musste. Aber wenn man schon einmal einem Genie bei der Arbeit zusehen darf, dann vergisst man solche Kleinigkeiten schnell wieder. Ich meine, nicht, dass die meisten Deutschen auch nach mehreren Einheiten mit dem Schurli nicht noch immer mit dem Ball per Sie gewesen wären – aber sie haben zumindest eine Ahnung bekommen, was möglich wäre. Die Idee ist ja immer „Hilfe zur Selbsthilfe“, der Samen ist gesät. 

Zuerst geben wir den Deutschen – Schuhe! Die brauchen alle Bloßfüßigen!

Der Bereich „Abwehr und Zweikampf“ wurde übrigens von jenem Vorstopper der Kaisermühlener Knochenbrecher geleitet, dem der Schurli sein menikusloses Dasein verdankt. Das war ein ganz besonderer Glücksfall, denn zum einen sind er und der Schurli noch gar nicht so lang wieder gut. Und zum anderen hat Johann Nedbal, genannt „Hansi, die Handkante“, einen ziemlich vollen Terminkalender. Es war reines Glück, dass er zwischen zwei Verurteilungen wegen Körperverletzung gerade Zeit hatte. 

Der Bereich Taktik war angesichts der Möglichkeit, dass Hansi Flick am Ende ernsthaft weiterhin für die Geschicke des deutschen Nationalsports verantwortlich zeichnen könnte, klarerweise von eminenter Wichtigkeit. Aber auch hier war das Beste gerade gut genug, so einen Fuchs wie den Prilucik Hartl findet man kein zweites Mal. Der Hartl ist kein Geringerer als derjenige, der den Schurli damals entdeckt hat, auf der Liegewiese beim Buffet. Und er ist auch derjenige Fußball-Weise, dessen Ratschläge der Schurli nie mehr vergessen wird – weil sie einfach ebenso wahr wie einprägsam sind. Was hätte den Deutschen gegen Japan geholfen? Ganz klar: „Flach spielen – hoch gewinnen!“ Was haben sie mit Sicherheit vor dieser Blamage nicht bedacht? „Der Ball ist rund – und ein Spiel dauert 90 Minuten.“ Ganz klar, dass solche ewigen Weisheiten einem Bundestrainer Flick bisher nicht von selber eingefallen sind. Jetzt merkt er sie sich hoffentlich bis zum nächsten Match – damit dann einmal zumindest in Ansätzen so etwas wie eine taktische Handschrift erkennbar ist. 

Jedenfalls schaut die deutsche Zukunft nach unseren freundlichen Handreichungen nicht mehr ganz so finster aus. Gern geschehen! Und wenn wir – nach ein paar weiteren Trainingscamps natürlich erst, es ist schließlich noch kein Meister vom Himmerl gefallen – mit dem Fußball einmal durch sind, dann liebe Deutsche, dann bringen wir euch das Skifahren auch noch bei. 
Auch wenn das vielleicht noch schwieriger wird.  

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort