Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Rechtsverwesung

Rechtsverwesung

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Wenn man über den Staatsanwalt gesagt hätte, er sei ein harter Hund, wäre das der Wahrheit ähnlich nahegekommen wie die Behauptung, Vladimir Klitschko habe ­einen ganz netten rechten Schwinger.
Alle zitterten sie vor ihm, so durchtrieben und verdorben konnten sie gar nicht sein.

Nicht erst ein Orchideenfächer-Student war in seinem Gerichtssaal weinend zusammengebrochen, wenn ihm der Staatsanwalt unmissverständlich klargemacht hatte, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung mit einem Joint bei einer euphemistisch „Open Air“ genannten Asozialen-Generalversammlung keinesfalls vereinbar war.

Auch die Supermarkt-Kassierin, die einen gefundenen Flaschenrückgabezettel auf eigene Rechnung eingelöst und so ihren umsichtigen Arbeitgeber um 78 Cent geschossen hatte, bekam zu spüren, dass man mit Füßen nicht das Ebit tritt.

Und wenn sich wieder einmal ein renitenter Schübling mit seiner harten Wange gegen ein verstauchungsanfälliges Kleinfingerglied eines ihn beamtshandelnden Wachkörpers warf, wünschte sich der Staatsanwalt manchmal, der Gesetzgeber hätte dafür auch eine Strafe in Erwägung gezogen, die mit 380 Volt betrieben wurde.

Aber man konnte nicht immer nur die glamourösen Fälle haben, jene, nach deren erfolgreicher Abhandlung man mit dem ungeheuer befriedigenden Gefühl nach Hause gehen konnte, die Welt wieder ein Stück besser gemacht zu haben. Und er wäre ein schlechter Diener der Allgemeinheit gewesen, wenn er nicht auch solche Fälle mit Verve bearbeitet hätte, bei denen er von vornherein wusste, dass nichts herausschauen würde. Und es war ja mitunter auch ungeheuer wichtig, der Unschuldsvermutung zum Durchbruch in die rechtskräftige Gewissheit zu verhelfen, wenn ehrbare Bürger mit haltlosen Vorwürfen beschmutzt wurden. Leider geschah das ja in letzter Zeit öfter.

Aber der Staatsanwalt dachte nicht im Traum daran, Tendenzen wie dieser nachzugeben. Mit ihm war ein schwerwiegender Grundrechtseingriff wie eine Kontenöffnung – noch dazu in einem Verfahren um undurchsichtige Geldflüsse, wo man ja wirklich nicht davon ausgehen konnte, dass das irgendetwas mit Konten und so zu tun hatte – nicht zu machen. Die Agentur des Ehepaars Rumpold war schließlich auch schon vor der Eurofighter-Sache mit ihren markerschütternden Kampagnen für dies und sicherlich auch das aufgefallen – und herausragende Leistung durfte sich in diesem Land ja wohl hoffentlich noch lohnen.

6,6 Millionen Euro für eine PR-Kampagne für ein Kampfflugzeug, das sich aufgrund der durchschlagenden Wirkung der Rumpold’schen Werbemaßnahmen sicherlich auch die eine oder andere Mindestrentnerin zwischen die Gladiolen in den Schrebergarten gestellt hatte, konnten nur Ahnungslosen leicht überhalten erscheinen. Und dass er sich zum Richter darüber aufspielen sollte, ob man eine wohlvorbereitete Pressekonferenz mit Mayonnaise-Eiern von extrem glücklichen Hühnern und Mineralwasser, so prickelnd wie ein Film mit der frühen Sharon Stone, nicht auch um weniger als 96.000 Euro ausrichten hätte können, das war nun wirklich zu viel verlangt.

Das hatte er im Übrigen auch schon einmal bei einer Homepage zum Preis von 283.000 Euro gefunden. Es war ihm aber entfallen, wer da damals zu Unrecht angeschwärzt worden war.

Sein Telefon läutete. Der Kollege, der den Strasser ausgefasst hatte, war dran. „Hast eine Idee?“, stöhnte er. Er hatte schon einmal einen Kollegen aus der Strasser-Bredouille gerettet, als man dem honorigen Ex-Minister Amtsmissbrauch anhängen wollte. Allerdings könnte es diesmal ein wenig schwerer werden, von einer plötzlich eingetretenen Verjährung überrascht zu werden.

„Plädier auf subjektive Schuldunfähigkeit wegen zu großer Höhe der Sprachbarriere“, schlug er vor. „Das ist an sich nicht schlecht“, sinnierte der Kollege. „Aber die Geschichte hat einen Haken: Ich bin der Staatsanwalt – nicht der Verteidiger!“

„Und wo ist da jetzt der Unterschied?“ „Früher wär’s einfacher gewesen. Da hätten mir zum Beispiel die Videobänder ins Aquarium fallen können. Aber jetzt mit YouTube …“

Jetzt musste man sagen, dass der Kollege schon beim Studium nicht gerade durch überbordende Kreativität aufgefallen war. Und der Staatsanwalt hatte es auch satt, ständig seine Brillanz herzuborgen. Sollte der Kollege doch ins Kabinett der Ministerin wechseln, wenn ihm was anderes zu schwer war!

„Ich hab da jetzt selber einen Fall abzuwürgen“, sagte er kalt und legte auf.
Nachdem er den „Eingestellt!“-Stempel auf den Akt geknallt hatte, war es Zeit für die Mittagspause. Der Staatsanwalt ging in die Kantine und entschied sich für die legierte Spargelcremesuppe. Leider musste er schon nach dem ersten Löffel enttäuscht feststellen, dass sie ihn irgendwie an das Buwog-Verfahren erinnerte. Sie war ziemlich dünn.

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Rainer Nikowitz & Florian Scheuba: „Land in Sicht“, 6.5., Rabenhof, Wien.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort