Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Schöner wohnen

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Er hatte es ja nun wirklich zur Genüge im Guten versucht. Hatte in den Jahren der Demütigung und der Pein nicht mehr bloß optisch, sondern mindestens ebenso sehr im Hinblick auf die überwältigende Quantität seiner Geduld an einen Engel gemahnt.

Aber irgendwann war eben selbst bei ihm der Punkt erreicht, an dem er mit brechender, von zu intelligenten Tränen benetzter Stimme sagen musste: Es reicht!

Es war nicht mehr einzusehen. Da war man ein untadeliger Bürger. Zahlte – ohne sich lautstark über die drückende Abgabenmenge, die dermaßen brutal auf Leistungsträgern wie ihm lastete, dass sich, Armani hin oder her, schon der Anzugstoff auf den über Gebühr bebürdeten Schultern faltete – horrende 919 Euro Einkommensteuer. Verschönerte, wenn man über den Graben flanierte oder aber auch nur das öffentliche WC in der Shuttleworthstraße frequentierte, das Stadtbild ebenso ungemein wie unentgeltlich.

Aber gab die Jagdgesellschaft angesichts all dieser doch wohl bitte völlig außer Streit stehenden Meriten irgendwann eine Ruhe? Keine Rede. Er machte es ja nicht gern. Denn es widersprach ja im Prinzip völlig seiner Natur. Aber: Er musste jetzt wirklich auch einmal an sich selbst denken.

Und darum war er jetzt zu allem bereit. Er würde zum Äußersten gehen und dieser Stadt kalt lächelnd, -blütig und -herzig wehtun. Ihr das entziehen, was ihr, wenn sie denn bei Sinnen wäre, am liebsten sein müsste. Worauf sie bei Licht besehen unter gar keinen Umständen verzichten konnte. ­Etwas, dessen Fehlen sie ins düstere Grau der Nachkriegsjahre zurückkatapultieren würde. Sich.

Ja, er würde Wien den Rücken kehren. Würde diesen ohnehin beklagenswert unmondänen Marktflecken verlassen, der schon noch merken würde, um wie viel unglamouröser der Name „Wien“ auf den Cocktailpartys zwischen der Costa Smeralda und St. Tropez klingen würde, wenn er nicht mehr da war. Dem dann natürlich, wenn seine armen Insassen merkten, welche historische Chance sie mit der empörenden Behandlung eines ihrer Besten vertan hatte, auch aufgehen würde, wie verheerend sich sein Fehlen auf den Werbewert, die Rendite und das Wetter auswirken würde.

Natürlich war ihm die Wohnung in den vergangenen Jahren doch mehr ans Herz gewachsen, als ihm jetzt bei seinem Abschied lieb war. Er hatte es einfach gern klein und kuschelig. Fiona war da anders. Ihr war es in der klassischen Zimmer-Küche-Kabinett-Bleibe schon immer ein wenig zu eng gewesen. Karl-Heinz verstand das ja auch. Wenn Fiona ihr Beautycase ausräumte, war eben gleich einmal die Hälfte der zurückhaltenden 400 Quadratmeter voll.

Und auch wenn Besuch kam, etwa die netten Herrschaften von der Staatsanwaltschaft oder aber auch die Schwiegermutter, stieß man mit so einer doch himmelschreiend unrepräsentativen Wohnung schnell an die Grenzen des Erträglichen. Es war ihm zum Beispiel immer sehr schwergefallen, sich vor seiner Schwiegermutter zu verstecken. Nicht, weil er sie etwa nicht mochte, nein. Und schon gar nicht, weil sie ihn nicht mochte, wie könnte sie denn.

Einerseits, weil er ihr nicht noch einmal erklären wollte, warum sie über 500.000 Euro verfügte, obwohl sie nie über sie verfügt hatte. Das war etwas ermüdend, weil die Mamsch, wie er sie in tiefer Vertrautheit nennen durfte, wenn sie nicht da war, halt, so ehrlich durfte man schon sein, von solchen Dingen einfach nichts verstand. Und andererseits, weil Fiona ihr erzählt hatte, sie habe sich von dem Gebrauchtwagenhändler aus der Südprovinz ohnehin schon längst zugunsten eines wirtschaftlich erfolgreicheren und über ein erstklassiges Leumundszeugnis verfügenden bulgarischen Rauchfangkehrers getrennt.

Aber jetzt stellte sich natürlich die Frage der Fragen. Wohin? Ganz nach Kitzbühel? Natürlich war es dort recht schön und es gab auch wahnsinnig viele sympathische Menschen dort. Allerdings würde es Karl-Heinz schwerfallen, angesichts der beinharten Konkurrenz durch Hansi Hinterseer so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal sowohl in finanz- als auch frisurtechnischer Hinsicht aufrechtzuerhalten.

Wegen ihm wäre es ja nicht. Er wäre auch in einen gemütlichen Briefkasten nach Liechtenstein gezogen. Aber da spielte Fiona nicht mit. Wer weiß, wie lang sie überhaupt noch bei irgendwas mitspielen würde. Andererseits leistete er nun wirklich seinen Beitrag für eine lange und glückliche Ehe. Fiona hatte ja einmal in einem Interview verraten, dass er nie, wirklich nie und zu keinem Anlass zu ihr sage: „Du blöde Kuh!“ Konnte man denn mehr von ihm erwarten?

Capri? Paris? Oder New York? Da wäre die Wall Street in Gehweite. Also besser nicht.

Ja, das war’s! Er würde sich einfach von jener Stadt ersteigern lassen, die am meisten für seinen Meldezettel zahlte! Und er wusste auch schon, wer das organisieren konnte. Der Experte für Höchstgebote schlechthin.
Fiebrig wählte er Meischis Nummer.

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort