Rainer Nikowitz: Der Verordnungshüter

Innenminister Wolfgang Sobotka werden bei der Amtsausübung ständig unnötige Prügel wie Grundrechte oder Verfassung vor die Beine geworfen. Das muss sich dringend ändern.

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Sobotka stand vor dem Spiegel und betrachtete sein Kinn. Er hatte ein sehr schönes Kinn. Wenn er es, was er gerne tat, mit leicht nach hinten geneigtem Kopf nach vorne schob, verlieh ihm das eine dermaßen energische Aura, dass selbst Mussolinis Kinn auf dem alten Foto, das zu Übungszwecken gleich neben dem Zahnputzbecher stand, wie ein Anfängerkinn aussah. Sobotka wollte und konnte nicht ausschließen, dass alleine sein Kinn so mancher emotional vernachlässigten niederösterreichischen Best Agerin heftige Träume bescherte. Man hatte es eben – oder man hatte es nicht. Und wer hätte ernsthaft bestreiten wollen, dass Sobotka es hatte? Wäre er sonst an der Spitze der Republik gestanden? Gut, Kanzler und Vizekanzler mochten die Rangordnung irrigerweise ein wenig anders sehen und drängten sich leider oft auf der großen Bühne, die Sobotka alleine viel besser bespielen hätte können, unangenehm in den Vordergrund. Und manche Ketzer merkten auch an, dass es wohl nur in der niederösterreichischen ÖVP ein Ministeramt als Trostpreis dafür gab, dass man dann doch nicht Nachfolger des Landeshauptmanns geworden war. So etwas hörte Sobotka gar nicht gern. Deshalb plante er auch, es mittels Verordnung zu unterbinden. Wie so manches andere auch.

Auf die Idee mit den Verordnungen hatte ihn der Freund aus Amerika gebracht. Trump mochte zwar nicht so ein Feingeist wie Sobotka sein, aber die Art, wie er ein Dekret nach dem anderen rauspfefferte, ohne sich dabei von hinderlichen Mühlsteinen wie Gesetz, An- oder auch Verstand beeindrucken zu lassen, nötigte Sobotka durchaus Respekt ab. Die anderen mochten denken – Trump handelte. Und Sobotka war ja fraglos auch ein Mann der Tat. Das hatte er nun wirklich schon oft genug unter Beweis gestellt. Wer hatte ihm zum Beispiel damals nicht aller dringend geraten, die niederösterreichischen Wohnbaugelder etwas weniger verwegen anzulegen. Lachhaft! Als ob sich einer wie er von irgendwelchen erbsenzählenden Weicheiern vorschreiben ließe, was er mit seinem eigenen Geld zu tun oder zu lassen hat. Und der Erfolg gab ihm ja wohl so was von Recht! Manche Beckmesser sahen das zwar wie üblich anders, aber Sobotka verfügte diesbezüglich über unumstößliche alternative Fakten. Und natürlich über ein kerngesundes Selbstbewusstsein, das ihm half, unerfreuliche Anfechtungen dieser Art beiseite zu wischen wie Erwin der Große über die Jahre jeden seiner charismatischen Herausforderer aus den Reihen der bekannt schlagkräftigen niederösterreichischen SPÖ.

Die kamen sogar mit der Verfassung und ähnlich ollen Kamellen daher! Wie sollte da einer wie er arbeiten?

Sobotkas Ego war ja ähnlich beeindruckend wie sein Kinn. Eigentlich hätte er eine achtachsige Stretchlimousine als Dienstwagen gebraucht, um es standesgemäß unterzubringen. Das beklagenswerte Fehlen einer solchen schrie nach einer Verordnung. Wie natürlich auch das insubordinative Herumgemäkel aller möglichen Heulsusen – sogar aus seiner eigenen Partei –, seine Pläne für die möglichst lückenlose Überwachung von allem und jedem – außer der niederösterreichischen Wohnbaugeldkonten natürlich – und für die Umformung des Demonstrationsrechtes weg von veraltetem Grundrecht hin zu moderner ministerieller Huld seien mittelschwer vordemokratisch angehaucht. Die kamen sogar mit der Verfassung und ähnlich ollen Kamellen daher! Wie sollte da einer wie er arbeiten? Und obwohl ihn dieses Rechtsstaatsgewinsel einerseits nicht sonderlich anfocht, war andererseits Ruhe immer noch die erste Bürgerpflicht in einem Staat, wie Sobotka ihn sah. Also dachte er schon allein aus erzieherischen Gründen an eine Verordnung des Inhalts: „Seid’s gfälligst alle gusch – oder ihr lernt’s mi kennen!“

Den zweiten Teil würde er in der Endfassung aber wahrscheinlich lieber doch weglassen, um Missverständnisse hintanzuhalten. Denn zweifellos gab es ja unter seinen Untertanen unzählige, die heftigst darauf brannten, ihn kennenzulernen. Das war nun einmal der Fluch seiner ausufernden Prominenz. Und so gern er die Babys segnete, die ihm dankbare Mütter mit rot glühenden Wangen aus der Menge entgegenstreckten, oder nach Läuterung lechzende Sozen per Handauflegung von ihrem Aussatz befreite – das konnte schon lästig werden auch. Und zeitaufwendig, frage nicht. Da musste man dann halt Prioritäten setzen und sich seiner Berufung besinnen. Sobotka hatte nun einmal eine Republik zu verniederösterreichern, und das dauerte. Wenngleich es bei ein wenig mehr Einsehen seiner Regierungskollegen viel schneller gehen hätte können. Denn dass Sobotkas Weg der richtige war, stand ja sowieso außer Frage. Das war so klar wie sein Kinn scharf.

Sobotka drehte seinen Kopf vor dem Spiegel noch einmal nach links, dann nach rechts. Dann lachte er kantig auf, griff nach dem Foto von Mussolini neben dem Zahnputzbecher und warf es ins Klo. War ja doch nur ein Amateur.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort