Robert Treichler

Robert Treichler Dösen für Afrika

Dösen für Afrika

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Am Donnerstag, den 26. November 2009, um 12 Uhr trafen sich im Lokal V des österreichischen Parlaments die Mitglieder des Unterausschusses für Entwicklungszusammenarbeit zu einer ordentlichen Sitzung. Drei Anträge und ein Bericht des Außenministers wurden behandelt. Das Besondere an diesem Termin, der vor über eineinhalb Jahren stattfand? Es war der bislang letzte.

Einmal noch, am 24. Februar 2010, traten die Mitglieder kurz zusammen, allerdings nur zur „Neufestsetzung der Mitgliederzahl“, also ohne inhaltlichen Tagesordnungspunkt.

Seit November 2009 ist auf der Welt einiges passiert. Am 12. Jänner 2010 verwüstete ein Erdbeben den karibischen Inselstaat Haiti. Mehr als 300.000 Menschen kamen ums Leben. Im Juni desselben Jahres wurden weite Teile West- und Zentralafrikas von einer Flutkatastrophe heimgesucht, von der nach UN-Angaben 1,5 Millionen Bürger betroffen waren. Die Cholera brach aus und forderte 1500 Menschenleben. Einen Monat später führten extrem starke Monsunregen in Pakistan zu gewaltigen Überschwemmungen entlang des Indus. Mehr als sechs Millionen Menschen benötigten humanitäre Hilfe. Auch in Österreich tat sich etwas: Außenminister Michael Spindelegger gab im Oktober 2010 erhebliche Kürzungen in der Entwicklungshilfe bekannt.

Jetzt ereignet sich wieder eine Katastrophe. In Ostafrika hungern zwölf Millionen Menschen. Zehntausende sind bereits gestorben. Derweil pausiert der Unterausschuss für Entwicklungszusammenarbeit. Dem Vernehmen nach, weil sich SPÖ und ÖVP nicht darüber einigen konnten, wer in den Ausschuss zwecks kritischer Befragung vorgeladen werden sollte. Nun ist ein Unterausschuss kein Einsatzkommando für humanitäre Notfälle. Doch er sollte die politischen Leitlinien diskutieren, programmatische Konzepte erarbeiten, Anstöße geben, gegebenenfalls Protest einlegen. Er tut nichts von alldem. Er döst vor sich hin.

20 Monate lang währt der Schlummer nun schon. In diesem Zeitraum hielt der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags – das Pendant zum österreichischen Unterausschuss – nicht weniger als 41 Sitzungen ab.

Man braucht kein ausgewiesener Kenner der Lage zu sein, um zu wissen, dass die staatliche österreichische Entwicklungshilfe eine Art Grabpflege ist, inklusive der kühn behaupteten Option auf baldige Wiederauferstehung der Leiche. Aber dass die zuständigen Abgeordneten dies auch noch durch die passende Grabesruhe unterstreichen, grenzt an einen stillen Putsch gegen den Parlamentarismus.

Seltsamerweise läuft immer dann, wenn die Bundesregierung knausert, mit viel Tamtam eine groß angelegte Spendenaktion an. Dagegen ist nun wahrlich nichts zu sagen, denn die Kombination aus der Breitenwirkung des staatlichen Rundfunks und dem guten Namen der profiliertesten Hilfsorganisationen garantiert ein größtmögliches Spendenaufkommen. Nur eine Frage bleibt jedes Mal unbeantwortet: Wenn die Österreicher so spendabel sind – und das sind sie tatsächlich immer wieder –, weshalb ist die Republik Österreich dann der knausrigste Staat unter der Sonne, wenn es um Entwicklungshilfe geht? Weshalb glaubt der Außenminister, dass die freigebigen Bürger ihn beauftragt haben, er solle die Hilfe für arme Länder einschränken, wo es nur geht? Schließlich zahlen wir auch Steuern, damit die Republik ihren internationalen Verpflichtungen nachkommt und Menschlichkeit zeigt, ebenso, wie der einzelne Bürger es tut.

Die aktuelle Hungerkatastrophe bedroht auch Äthiopien, eines der Schwerpunktländer der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. 200.000 Somalier sind dorthin geflüchtet, gleichzeitig wird die Lage für fast fünf Millionen Äthiopier bereits als „kritisch“ eingestuft. Das Vieh stirbt in Massen, die Nomaden haben nichts mehr zu verkaufen, zugleich explodieren die Preise für Lebensmittel.

Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit erklärte Äthiopien schon 1993 zu einem der Schwerpunktländer. Die moralische Verpflichtung, dort jetzt mehr Hilfe zu leisten, ist besonders groß.

Die Parlamentarier des Unterausschusses könnten sich zusammentun, und zwar über (fast alle) Parteigrenzen hinweg. Dann hätten Forderungen wie jene der grünen Abgeordneten Judith Schwentner nach einer (grob gerechnet) Verzehnfachung der staatlichen österreichischen Hilfe für Ostafrika mehr Gewicht.

Der Ausschuss für humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag ließ sich vorvergangene und vergangene Woche in einer Telefonkonferenz vom Auswärtigen Amt über die Lage in Ostafrika informieren und richtete danach entsprechende Forderungen an die Bundesregierung.

Es gäbe viel zu tun. Dennoch geht der alte Boulevard-Vorwurf fehl, unsere Parlamentarier seien faul. Die Faulheit ist in Wahrheit Frustration. Man weiß längst, was alles nicht geht, und richtet sich danach.

Was kann der österreichische Unterausschuss für Entwicklungshilfe ausrichten? Wenig? Mag sein. Am allerwenigsten dann, wenn er sich de facto selbst abschafft.

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