Robert Treichler

Robert Treichler Ibrahimovic : Hollande – 90 : 1

Ibrahimovic : Hollande – 90 : 1

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Wenn Zlatan Ibrahimovic, schwedischer Profi-Fußballer bosnisch-kroatischer Herkunft, auftaucht, fällt den Franzosen die Kinnlade runter. Das war schon bei der abgelaufenen Fußballeuropameisterschaft so. Kiew, 19. Juni, 54. Spielminute: scharfer Pass von rechts, Ibrahimovic vollführt einen Seitfall-Volleyschuss, und die französische Verteidigung muss das tadellose Gelingen bezeugen – 1:0 für Schweden.

Wenige Wochen später. Bei einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch präsentierte Nasser el-Khelaifi, Präsident des Fußballklubs Paris Saint-Germain (PSG), seine Neuerwerbung für die kommende Saison: Zlatan Ibrahimovic. Wieder fällt den Franzosen die Kinnlade runter, diesmal den sozialistischen Verteidigern des Ideals einer gerechten Lohnverteilung: Ibrahimovics Jahreseinkommen wird mit 14 Millionen Euro angegeben – „netto, nach Steuern“.

„Astronomisch“ sei diese Summe, japste Sportministerin Valérie Fourneyron empört, und sogar Staatspräsident François Hollande gab einen seltenen Sportkommentar ab: Es sei „nicht notwendig, hohe Gehälter zu bezahlen, um im Profisport Titel zu gewinnen“. Der Meistertipp des Staatspräsidenten dürfte weniger von fußballerischer Expertise als von Ideologie geleitet sein. Hollande gewann die Wahlen im vergangenen Mai nicht zuletzt dank einer Kampagne, die gegen unverhältnismäßig hohe Gehälter und schnöden Reichtum an sich gerichtet war. Zu diesem Zweck kündigte er unter anderem einen neuen, in Europa einzigartigen Spitzensteuersatz von 75 Prozent an. Ibrahimovic kann das egal sein, für die Steuern kommt laut Vertrag der Klub auf. Zudem hat in der Tageszeitung „Le Monde“ bereits ein Steuerberater – anonym – darüber Auskunft gegeben, wie die Steuer zumindest teilweise zu umgehen sei. Ibrahimovic, mit 1,95 Metern in jedem Strafraum eine furchterregende Erscheinung, ist unter französischen Sozialisten kurzfristig zu einem Symbol der „Gier“ geworden, die seit Beginn der Finanzkrise uneingeschränkte Indignation auslöst.

Die Regierung unter François Hollande ist angetreten, ein Gegenkonzept umzusetzen, das ihrer sozialistischen Gesinnung gerecht wird:

Bezüge der Bestverdiener in staatlichen und staatsnahen Betrieben sollen nicht mehr als das 20-Fache der geringsten Gehälter ausmachen. (Wäre der PSG ein staatlicher Verein, könnte sich der Zeugwart dank Ibrahimovic jetzt über 700.000 Euro Jahresgage freuen, aber leider gehört der Klub einer Investmentgruppe aus Katar.) Reiche sollen den wesentlichen Beitrag zur Sanierung des Staatsbudgets leisten.

Der Mittelstand und die ärmeren Schichten sollen von staatlichen Sparmaßnahmen verschont, die Kaufkraft soll nicht geschwächt werden. Die große Frage: Kann das gelingen, funktioniert der Schuldenabbau nach linker Art?

Man wird Hollandes Regierung unter Premier Jean-Marc Ayrault zumindest nicht vorwerfen können, sie habe es nicht versucht. Die Vermögensteuern und der (noch nicht ­beschlossene) Einkommensteuersatz von 75 Prozent sind schwer zu toppen. Die Erhöhung der Vermögensteuer macht ein Drittel des Volumens der bisher vereinbarten Mehreinnahmen der öffentlichen Hand aus. Die Zeitung „Les Echos“ hat errechnet, dass Vermögen jenseits der vier Millionen Euro von einer Steuererhöhung um bis zu 143 Prozent betroffen sind.

Und dennoch können die Budgetlöcher bei aller sozialistischen Anstrengung nicht gänzlich mit dem Geld der Reichen gestopft werden. Also müssen weitere Geldquellen aufgetan werden: Vergangene Woche beschloss die linke Mehrheit in der Pariser Nationalversammlung, die Steuerbefreiungen auf Überstunden abzuschaffen. Auch diese Maßnahme lässt sich mit einigem Wohlwollen als Übung in Umverteilung verkaufen. Unbezweifelbar ist jedoch, dass Arbeitnehmer aller Gehaltsstufen dadurch einen Teil ihres Einkommens verlieren – und somit Kaufkraft. Ein erster Sündenfall. Es kommt noch ärger.

Da alle bisher angekündigten Reformen nicht ausreichen, um das Ziel von drei Prozent Budgetdefizit im kommenden Jahr zu erreichen, erwartet man in Frankreich, dass im Herbst eine Erhöhung des Allgemeinen Sozialbeitrags (CSG) droht. Damit würde wieder eine Massensteuer erhöht, die alle Franzosen betrifft.

Hollande hat es im Wahlkampf geschafft zu suggerieren, bei den Reichen sei genug zu holen. Das war ebenso geschickt wie realitätsfern. Ohne auf das Geld der Masse zuzugreifen, kann ein so ausgeprägtes Budgetdefizit nicht ausgeglichen werden, es sei denn mit radikalen Ausgabenkürzungen, doch die wollen Hollandes Sozialisten erst recht nicht.

Das Resultat ist ein Austeritätsprogramm, das Reiche stärker belastet, aber alle anderen auch nicht verschont. Ein bisschen Populismus ist auch dabei: Hollande kürzte die Gehälter der Regierungsmitglieder sowie sein eigenes um ein Drittel. Monsieur le Président de la République verdient jetzt ein Neunzigstel von Ibrahimovic.

Und das Schlimmste: Die Massen im Pariser Prinzenpark-Stadion werden Zlatan Ibrahimovic zujubeln.

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