Rosemarie Schwaiger Ärgern, aber richtig
Die Fakten sind im Wesentlichen bekannt, aber versuchen wir es noch einmal. Vielleicht hilft es: Die Flughafen Wien AG, zu vierzig Prozent im Besitz der Länder Niederösterreich und Wien, hat beim Bau des neuen Terminals Skylink ein paar hundert Millionen Euro verjuxt. Statt ursprünglich budgetierter 400 Millionen verschlang das Projekt fast 900 Millionen. profil-Recherchen ergaben nun, dass der Terminal wahrscheinlich noch mehr kosten wird. Auf bis zu eine Milliarde könnte die Summe steigen und derzeit ist nicht einmal klar, wann das Schmuckstück überhaupt fertig sein wird.
Es kommt noch besser: Obwohl die Bundesländer Niederösterreich und Wien in der Flughafen AG ganz eindeutig das Sagen haben, darf der Rechnungshof Österreichs absurdeste Baustelle nicht prüfen. Leider, leider sähen die Statuten das nicht vor, ließ das Management wissen. Ob der Rechnungshof irgendwann vielleicht doch einen Blick in die Planungsunterlagen werfen darf, muss nun der Verfassungsgerichtshof klären. Das dauert mindestens ein halbes Jahr, eher länger. Blöd natürlich, aber nicht zu ändern.
Die Landeshauptleute von Niederösterreich und Wien bedauern das Skylink-Desaster außerordentlich. Aber eine Mitschuld? Geh, bitte. Michael Häupl kontert Anfragen nach eventueller politischer Verantwortung bemerkenswert patzig mit dem Hinweis, dass sich die Stadt Wien in der Flughafen AG nur zwei von vierzehn Aufsichtsräten aussuchen könne. Und Erwin Pröll hat keine Zeit, sich mit solchen Bagatellen zu befassen. Er will Bundespräsident werden; in Niederösterreich hat er ja nun wirklich lange genug großartig gewirtschaftet.
Wer in den vergangenen Wochen gelegentlich Zeitung gelesen hat, weiß das alles. Seltsam ist nur, dass es offenbar niemanden aufregt. Das Abermillionengrab am Flughafen juckt die Österreicher weniger als ein durchschnittlicher Gelsendippel. Weder die Leserbriefschreiber der Kronen Zeitung noch die Facebook-und-Twitter-Community oder andere leicht erregbare Bevölkerungsgruppen schenken dem Skandal auch nur einen Bruchteil ihrer wertvollen Aufmerksamkeit. Gleiches gilt für die 600 Millionen Euro, die von den ÖBB bei einer besonders idiotischen Variante von Finanzspekulation vergambelt wurden, und für die runde Milliarde, die es im besten Fall gekostet haben wird, die Austrian Airlines endlich der Lufthansa umzuhängen. Reaktion an den Stammtischen der Nation, also bei den Eigentümern der genannten Vorzeigebetriebe: nicht mal ein Schulterzucken.
Nun gilt der Österreicher gemeinhin als gemütliches Wesen, das durch nichts zu erschüttern ist, solange der Spritzer und das Schnitzel schmecken. Aber die Lethargie hat Grenzen, wie sich in anderen Fällen immer wieder zeigt. Zur Frage etwa, ob Arigona Zogaj und ihre Restfamilie in Österreich bleiben dürfen, hat praktisch jeder eine pointierte Meinung. Nicht auszuschließen, dass die Zogajs noch vor der oberösterreichischen Landtagswahl verräumt werden müssen, weil sich sonst der geballte Volkszorn in Stimmen für die FPÖ entladen könnte. Der Versuch, den Lehrern zwei Unterrichtsstunden mehr schmackhaft zu machen, bewegte das Land im Frühling mehrere Wochen lang nahezu ausschließlich. Gut, die Pädagogen sind blendend organisiert und haben Tagesfreizeit, die sie mitunter auch für Kampagnen in eigener Sache einzusetzen bereit sind. Aber mit roten Ohren diskutiert wurde dieses Randthema auch von Menschen, die in keiner Weise betroffen waren.
Noch ein paar Stufen tiefer in der Bedeutungsskala wird ebenfalls bis zum letzten Blutstropfen gekämpft: Als die Leitung des Wiener Museumsquartiers vor ein paar Wochen versuchte, die beliebten Saufgelage mit selbst mitgebrachten Alkoholika im Museumshof ein wenig zu reglementieren, organisierte sich der Widerstand binnen Stunden. Mit allen Mitteln der modernen Kommunikation rotteten sich die Freilufttrinker zusammen, um gegen diese unerhörte Einschränkung und den Sieg der geldgierigen Wirte zu protestieren. Jeder hat natürlich das Recht, seine Energien nach Gutdünken auch für blödsinnige Anliegen zu verschwenden. Nett wäre allerdings, wenn ein bisschen Renitenz für die wichtigen Fragen übrig bliebe. Eine Öffentlichkeit, die ihr Empörungspotenzial grundsätzlich nur an Nebenschauplätzen verprasst, führt nämlich zu genau der Art von Politik, die in Österreich praktiziert wird.
Politiker verwenden ihre Zeit nun mal lieber für das Drängende als für das Dringende. Wenn, nur zum Beispiel, fünf Cent Preiserhöhung je Liter Superbenzin mehr Ärger machen als die zwei, drei Milliarden, die in der jüngeren Vergangenheit von staatsnahen Betrieben verbrannt wurden, ist glasklar, welches Problem auf der Regierungsagenda weiter oben steht: Seit 1. Juli dürfen Tankstellen ihre Preise nur noch einmal pro Tag erhöhen. Die Flughafen AG darf weiterwursteln wie bisher. Stört ja keinen.