Rosemarie Schwaiger: Ging es wirklich nicht anders?

Die Regierung wird nachweisen müssen, dass die rigorose Virusbekämpfung gerechtfertigt war. Penetrantes Selbstlob reicht nicht.

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Mit dem Wissen von heute würde er manches anders machen, erklärte der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi vor ein paar Tagen im ORF-Fernsehen. Einige Maßnahmen gegen das Coronavirus hätten nicht so scharf ausfallen müssen, meint der Grün-Politiker. "Ich finde, wenn man dazulernt, soll man das auch offen sagen und aus diesen Fehlern lernen."

Vom Bundeskanzler wird man solche Sätze wahrscheinlich nie hören. Einen Hang zu quälender Selbstkritik kann man Sebastian Kurz nicht nachsagen. Lieber lässt er sich, wie jüngst im Kleinwalsertal, von seinen Fans huldigen. Da ist es dann auch weniger schlimm, wenn die Abstandsregeln vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Von der Begeisterung für den Kanzler kann sich ruhig jeder anstecken lassen.

Unermüdlich lobt Kurz dieser Tage die eigene Arbeit: Österreich habe früher und strenger auf die Bedrohung durch SARS-CoV-2 reagiert und stehe deshalb viel besser da als andere Länder, trommelt er. Nur das rechtzeitige, konsequente Vorgehen habe dafür gesorgt, dass die Bürger jetzt wieder ein paar Freiheiten genießen können. Ob das stimmt oder nicht, ist nebensächlich. Das Geheimnis erfolgreicher politischer Kommunikation besteht letztlich darin, eine Botschaft so oft zu wiederholen, bis das Publikum sie für gesichertes Wissen hält.

Aber so kann das diesmal nicht laufen, dafür ist der angerichtete Schaden bei Weitem zu groß. Die Politik wird den Nachweis liefern müssen, dass es wenigstens aus damaliger Sicht gerechtfertigt war, dieses Land für Wochen lahmzulegen, Tausende Existenzen zu ruinieren und die Freiheitsrechte aller Bürger massiv einzuschränken. Ähnlich rabiates Vorgehen in anderen Ländern reicht nicht als Begründung. Wer sich selbst so penetrant als Vorzugsschüler inszeniert, genießt keine Herdenimmunität.

In der Wochenzeitung "Falter" veröffentlichte Protokolle beweisen, dass Experten in den Beraterstäben der Regierung für weniger drastische Maßnahmen plädiert hatten, aber nicht gehört wurden. Sehr wahrscheinlich lagen die Vertreter dieser Linie richtig: Die erst später berühmt gewordene "effektive Reproduktionszahl" sank schon Tage vor dem Lockdown. Von der befürchteten Überlastung der Spitäler und Intensivstationen war Österreich zu jedem Zeitpunkt so weit entfernt, dass es schwerfällt, die ursprünglichen Kalkulationen nachzuvollziehen. Während wir Bürger angehalten wurden, den Heldenmut des medizinischen Personals zu besingen, saß ein Teil dieser Beschäftigten gelangweilt daheim, weil in den Krankenhäusern schlicht nichts los war.

Angstmache war Teil der Strategie. Aber die schwarze Pädagogik hat Nebenwirkungen.

Verschätzt hat sich die Regierung auch bei den ökonomischen Auswirkungen ihrer beherzten Seuchenbekämpfung - diesfalls in die andere Richtung: Offenbar herrschte bei Türkis-Grün die Überzeugung, dass ein paar Wochen ohne Umsatz bei den meisten Unternehmern kaum ins Gewicht fallen würden. Der erste Corona-Krisenfonds war mit schlanken vier Milliarden Euro budgetiert. Aus heutiger Sicht gleicht das dem Versuch, einen ausgedehnten Waldbrand durch kräftiges Reinspucken zu löschen. Allein die Kurzarbeit für 1,3 Millionen Beschäftigte wird mindestens zehn Milliarden Euro kosten.

Weil nur furchtsame Bürger brave Bürger sind, gehörte die organisierte Angstmache fix zur Regierungsstrategie. Aber die schwarze Pädagogik hat unangenehme Nebenwirkungen: Manche Leute fürchten sich noch immer so sehr vor dem Virus, dass sie den Mund-Nasen-Schutz am liebsten nie wieder abnehmen würden. Bei anderen regt sich erkennbar der Trotz; sie halten sich justament an gar keine Einschränkungen mehr. Beides ist eher suboptimal, wenn wir jetzt wieder ordentlich konsumieren, zugleich aber eine mögliche zweite Infektionswelle verhindern sollen. Das haben die Schweden wohl gemeint, als sie erklärten , man müsse Bedingungen schaffen, mit denen die Menschen länger als ein paar Monate zurande kommen.

Es könnte sich mittelfristig auch rächen, dass die Kommunikation der Regierung wochenlang deutlich von dem abwich, was durch Gesetze und Verordnungen geregelt war. Was soll man Politikern noch glauben, wenn sie in einer solchen Situation Verbote erfinden, die gar nicht existieren? Erst als es sich nicht mehr leugnen ließ, gab Gesundheitsminister Rudi Anschober zu, dass private Treffen eigentlich eh erlaubt gewesen wären. Er finde die Diskussion "ein bisschen bizarr", erklärte Anschober dann auch noch genervt. Innenminister Karl Nehammer sprang ihm bei und behauptete plötzlich, dass die Amtshandlungen bei sogenannten Corona-Partys stets wegen Lärmbelästigung erfolgt seien, nicht wegen irgendwelcher Ausgangsregeln.

Österreich hatte bisher weniger Covid-19-Tote zu beklagen als viele andere Länder, das wenigstens stimmt. Aber abgerechnet wird zum Schluss. Erst mit Jahresende, vielleicht auch erst nach dem nächsten Winter, wird man sehen, ob die Epidemie in Ländern mit weniger hartem Regime tatsächlich mehr Schaden angerichtet hat. Für Schadenfreude und Überheblichkeit gibt es bis dahin keinen Grund.

Rosemarie Schwaiger