Leitartikel: Rosemarie Schwaiger

Rosemarie Schwaiger Märchenstunde in Brüssel

Märchenstunde in Brüssel

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Angela Merkel wäre so weit. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kann es kaum erwarten, endlich loszulegen. Ratspräsident Herman Van Rompuy möchte am liebsten sofort anfangen. Unnötig zu erwähnen, dass auch die österreichische Regierung Feuer und Flamme ist. Werner Faymann und Michael Spindelegger verlieren ja selten Zeit, wenn es gilt, die europapolitischen Ideen anderer Leute abzunicken.

Wann immer sich dieser Tage über der Eurozone eine neue Katastrophe anbahnt – also praktisch täglich –, wird von Politikern, Notenbankern und Ökonomen dieselbe Lösung angeboten: Mit einer echten Fiskalunion, erzählt man uns, wird alles wieder gut. Wenn es erst einmal gelungen sei, alle Euroländer auf eine gemeinsame Haushaltsführung einzuschwören, werde nie wieder ein Staat ins Chaos stürzen wie Griechenland. Schuldenexzesse würden dann nicht mehr möglich sein, weil eine strenge Aufsichtsbehörde jeden neuen Kredit genehmigen müsste. Endlich gäbe es keine Tricks mehr, keine Betrügereien, keine Prasserei auf Kosten der anderen. Klingt großartig, nicht wahr? Wird aber leider nicht funktionieren.

Die Fiskalunion ist bloße Utopie. Eine gefährliche noch dazu, weil sie einen Ausweg vorgaukelt, den es nicht geben wird. In ihrer derzeitigen Verfassung hat die EU weder die Kraft noch die moralische Legitimation, ein solches Projekt durchzuziehen. Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Allein die angedachten Sanktionen sind im Lichte der Erfahrungen, pardon, lächerlich. Einmal angenommen, es gäbe die gemeinsame Buchführung, und Italien hielte sich nicht an die Spielregeln. Was dann? Soll die EU-Kommission das römische Finanzministerium stürmen? Als Notmaßnahme in der Krise taugt die Idee sowieso nicht. Die Schuldengebirge werden ja nicht dadurch kleiner, dass man einander in die Portokasse schauen darf.

In der Sprache der Politiker klingt die gegenseitige Besachwalterung wunderbar. Europa müsse zusammenwachsen, heißt es in pathetischen Reden. Dies sei nicht die Zeit für nationale Egoismen, sondern für die „Vereinigten Staaten von Europa“. Jeder halbwegs geschulte Mandatar hat solche Phrasen im Repertoire. Doch die politische Realität in der gebeutelten Eurozone sieht so aus, dass sich die Herrschaften derzeit nicht einmal auf einen Nachfolger für Jean-Claude Juncker als Chef der Eurogruppe einigen können: Deutschland wünscht sich den Deutschen Wolfgang Schäuble, Frankreich hält überraschenderweise mit dem Franzosen Pierre Moscovici dagegen. Wie es unter diesen Umständen je gelingen sollte, eine gesamteuropäische Budgetaufsicht zu nominieren, bleibt ein süßes Geheimnis.

Dabei ist der vorhersehbare Zank ums Personal noch das geringste Problem. Eine Fiskalunion wäre der bisher schwerste Eingriff in die Souveränität der Euroländer. Zu Ende gedacht, könnte Brüssel eines Tages sogar Details wie die Höhe der Mehrwertsteuer oder das Pensionsantrittsalter bestimmen. So ein Vorhaben ließe sich nicht einmal in der europäischen Postdemokratie ohne Volksabstimmungen durchboxen. Man wird die Menschen fragen müssen, ob sie dieses Diktat wollen – noch dazu von einer Institution, die sie weder wählen noch abwählen können. Das beliebte Wörtchen „alternativlos“ reicht in diesem Fall nicht. Sonst hat der ukrainische Präsident bald gute Gründe, Sportveranstaltungen im Euroraum unter Hinweis auf die prekäre Menschenrechtssituation zu boykottieren.

Eine Zustimmung der Bürger zu mehr Europa ist derzeit allerdings schwer vorstellbar. Schon Europa light genügte ja bekanntlich, um ein heilloses Chaos anzurichten. Es ist ganz schön dreist von der EU-Nomenklatura, ausgerechnet jetzt, nach Jahren mit krassen Fehlentscheidungen, mehr Kompetenzen für Brüssel einzufordern. Einem Chirurgen, der bei der Hüftoperation gepatzt hat, vertraut man zur Belohnung ja auch keine Herztransplantation an.

Mittlerweile herrscht an breiter Front Einigkeit, dass es falsch war, eine gemeinsame Währung einzuführen, ohne auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Budgetpolitik zu pochen. Vielleicht hätten sich damit tatsächlich ein paar Probleme verhindern lassen. Aber sicher ist auch das nicht: Innerhalb der Eurozone gibt es gewaltige Bruchlinien, die sich nicht einfach zuschminken lassen. Die Mitgliedsländer haben völlig unterschiedliche Interessen, dieselbe Maßnahme kann für Spanien gut und für Irland völlig falsch sein.

Außerdem führen Kontrolle und Harmonisierung nicht zwangsläufig zu ökonomischen Triumphen. Niemand weiß das besser als die Deutschen. Die Wiedervereinigung war die engste Form einer Fiskalunion, die sich vorstellen lässt. Sie kostete geschätzte zwei Billionen Euro. Und rein wirtschaftlich betrachtet, war sie ein Flop: Ostdeutschland wäre als Staat bis heute kaum lebensfähig.

Angela Merkel sollte daran denken, bevor sie beim nächsten EU-Gipfel von mehr Europa schwärmt.

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