Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Fortgesetzt „blödsinnig“

Fortgesetzt „blödsinnig“

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Gelegentlich wiederfährt einem Kolumnisten das Glück, dass ein angesehener Ökonom unüberhörbar formuliert, was er seit Monaten still vor sich hinschreibt. Meinem Kollegen Georg Hoffmann-Ostenhof und mir wiederfuhr dieses Glück vergangene Woche: „Blödsinnig“ nannte der deutsche „Wirtschaftsweise“ Professor Peter Bofinger im „Standard“ den Sparpakt, den Angela Merkel über Österreich und die Eurozone gestülpt hat.

Ich hatte zum gleichen Zeitpunkt nur vorsichtig Erich Streisslers Aussage zitiert, dass John Maynard Keynes ­jedenfalls darin recht zu geben sei, dass der Staat in Krisenzeiten nicht sparen dürfe.

Mehr als alle „Aussagen“ zählt für mich freilich die simple mathematische Argumentation des verstorbenen deutschen Ökonomen Wolfgang Stützel: Es kann keinen Verkauf ohne Einkauf geben. Zwar kann ein Einzelner einen Vorteil ­daraus ziehen, dass er weniger ein- als verkauft (also einen Überschuss anspart), aber wenn fast alle weniger einkaufen (mehr sparen), muss die Wirtschaft schrumpfen.

Derzeit kaufen die Bürger weniger ein, weil sie Angst vor der Zukunft haben, und der Staat kauft dank Merkel weniger ein, weil er Sparpakete schnürt – also kann die Krise nicht enden.

Sie ist – zumindest darin sind fast alle Ökonomen einig – eine „Nachfrage“-Krise: Die Nachfrage nach Gütern bleibt hinter dem potenziellen Angebot zurück. (Daher gibt es trotz des vielen billigen Geldes auch keine Inflation.)

Der Grundstein zu dieser Nachfrage-Krise, so meint auch Bofinger, wurde aber nicht erst jetzt, sondern schon ab 1980 gelegt: indem die neoliberale Überbewertung des Shareholder-Value aus den USA auch auf die christlich-soziale und sozialdemokratische Wirtschaftspolitik Europas übergriff und zur Umverteilung von unten nach oben führte. „Der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen ist stetig zurückgegangen, während die Kapitaleinkommen beziehungsweise Unternehmensgewinne stark gestiegen sind.“ (Bofinger)

Voran in Deutschland haben die Shareholder in den vergangenen Jahren gewaltige Überschüsse erwirtschaftet (Sparguthaben angehäuft) – und dieses Geld nicht entfernt wieder ausgegeben, um entsprechend mehr einzukaufen. Deutschlands Unternehmer haben vor allem im Inland immer weniger investiert – wozu sollten sie ihre Kapazitäten angesichts stagnierender Nachfrage ausweiten? –, und Deutschlands Reiche und Superreiche können ihren Konsum kaum mehr steigern, weil sie schon alles haben.

Die Masse der Deutschen (oder Österreicher) steigerte ihren Konsum schon gar nicht, weil die meisten Arbeitnehmer real weniger verdienen und selbst die Besserverdiener lieber sparen, weil jeder Dritte Angst um seinen Job hat.

Eine Nachfrage-Krise kann man nur beheben, indem man die Nachfrage steigert. Der Ex-Ressortleiter der „Presse“-Wirtschaft, Franz Schellhorn, mittlerweile „Kopf“ eines neoliberalen Think-Tank, plädiert dafür, die Steuern zu senken, um den Konsum anzuregen. (Den Unternehmern höhere Löhne zuzumuten, käme ihm nicht in den Sinn.) Ich stimme seiner Forderung nach einer Steuersenkung für den extrem belasteten Mittelstand dennoch zu – nur bin ich der Meinung, dass sie durch eine höhere steuerliche Belastung der Reichen bis Superreichen (deutlich höhere vermögensbezogene Steuern) gegenfinanziert werden soll.
Der Staat kann derzeit nicht auf Einnahmen verzichten. Denn was die Bevölkerung nach einer Steuersenkung mehr kaufen kann, kommt der Wirtschaft (und damit dem Steueraufkommen) nur langsam zugute: Im Moment sitzt die Angst, den Job zu verlieren, den meisten Arbeitnehmern so tief in den Knochen, dass sie, was ihnen die Steuersenkung mehr in der Tasche lässt, eher für Notzeiten sparen. Und selbst das, was sie vielleicht doch mehr ausgeben, kommt zum Teil eher fernöstlichen Billigproduzenten zugute.

Was dagegen der Staat mehr ausgibt – egal ob für Bahnhöfe, Universitäten, Lehrerdienstverträge, ja selbst Tunnels –, führt unmittelbar zu mehr Arbeitsplätzen im Inland. Die aber bedeuten eine viel wirkungsvollere Erhöhung der Kaufkraft – denn sie mindern zugleich die konsumlähmende Angst vor Arbeitslosigkeit.

„Arbeitslosigkeit“ ist das „Auge“ im Zentrum des ­Krisensturmes: Jeder Arbeitslose bedeutet einen Einwohner, der, statt Sozialprodukt zu schaffen, Sozialprodukt auffrisst (Arbeitslosengeld erhalten muss). Nicht die angeblich zu hohen Sozialausgaben vergangener Jahre, sondern die aktuellen Kosten der Arbeitslosigkeit sind es, die die Staatshaushalte im „Norden“ immer mehr belasten und im „Süden“ entgleisen lassen. Von den sozialen Kosten gar nicht zu reden.

Es war daher voran die Arbeitslosigkeit, die Keynes zu bekämpfen suchte, als er aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre ableitete, dass der Staat die Wirtschaft mit Aufträgen ankurbeln muss.

Es ist „absurd“, argumentiert Bofinger, dass Staaten wie Deutschland oder Österreich im Kampf gegen die aktuelle Weltwirtschaftskrise darauf verzichten, so viel wie möglich in Infrastruktur, Bildung und Forschung zu investieren, weil ein „blödsinniger“ Sparpakt sie daran hindert.

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