Ein SPÖ-Chef mit katastrophalem Ergebnis trotz Selbstverleugnung

Christian Rainer: Stimmungsergebnis

Stimmungsergebnis

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Als dieser Kommentar am Freitagabend geschrieben wurde, hätte man den Parteitag der SPÖ allenfalls auf Basis von latentem Masochismus per Livestream verfolgen müssen: Überraschungen waren nicht zu erwarten, Werner Faymann wäre ein guter zweiter Anlass für diesen Text geworden (der ursprüngliche Anlass weiter unten). Angesichts des Abstimmungsergebnisses – 84 Prozent – bietet es sich aber an, diesen Teil vorzuziehen.

Seit Wochen hatte sich der Parteivorsitzende nämlich – immerhin ein Zeichen von Leidensfähigkeit – durch die Bundeslande gequält, um mit den Mitteln der Selbstunterwerfung Stimmung für diesen – seinen – Tag zu machen. Genauer: für seine Wiederwahl zum Parteiobmann, eine Abstimmung, die im Jahr 2012 mit 83 Prozent Zustimmung schiefgegangen war.

Um ein besseres Ergebnis sicherzustellen, hatte der Parteiobmann in einem Akt der Selbstverleugnung bereits das Steuerprogramm des Gewerkschaftsbundes auf Punkt und Komma zu seinem eigenen gemacht (was angesichts des Pamphletcharakters dieses Papiers einer intellektuellen Selbstausschaltung bedurfte). Überdies dürfte Faymann in den vergangenen Tagen den Kotau gegenüber manchem Journalisten, manchem Verleger geübt, Versprechungen in den Raum gestellt oder ein offenes Börserl geschwenkt haben. So jedenfalls interpretiere ich die Berichterstattung dort, wo Kritikfähigkeit just kurz vor dem Parteitag verloren gegangen ist. Erheiternd daher dieser Satz in Faymanns Parteitagsrede: „Die Journalisten haben offenbar kein Interesse an einer starken Sozialdemokratie.“ Worte
eines Mannes, der seit geraumer Zeit ORF-Interviews verweigert.

Meine Frage: Muss sich ein amtierender Bundeskanzler wirklich demütigen, um sich durch die Erniedrigung bei einem per se entwürdigenden Abstimmungsritual allenfalls einige Zentimeter zu erhöhen? Fällt
Faymann nicht schon durch dieses Schauspiel tiefer, als er durch ein schlechtes Votum fallen konnte? Für mich muss er nicht, und ja, er fällt durch den Boden.

Und jetzt hat er den doppelten Schaden: Die Mechanik der Partei funktionierte anders als erwartet. Was bleibt, ist eine peinliche Zahl statt eines nur durch Umstimmungsmaßnahmen peinsamen Ergebnisses.

Jetzt der ursprüngliche Anlass für diesen Kommentar: auch eine Stimmungsfrage. Die Österreicher reagieren auf positive Persönlichkeiten in der Politik. Diese banale Erkenntnis wird seit Wochen mit Verve diskutiert. Anlass: Der neue ÖVP-Obmann hat seine Partei im Handumdrehen vom abgeschlagenen dritten Platz auf den ersten geführt. Laut jüngster Umfrage für ATV liegt die Volkspartei jetzt bei 28 Prozent, die FPÖ bei 26, die SPÖ bei 24. „Ausgerechnet Reinhold Mitterlehner“, so die einschlägige Kommentierung. Das hat das urbane (und das niederösterreichische) Establishment dem verhaltensunauffälligen Oberösterreicher nicht zugetraut.

Mich überrascht nicht, dass ausgerechnet Mitterlehner den Umschwung geschafft hat. Er beherrscht das kleine Einmaleins des Charismas: spricht kurz, klar, artikuliert; gibt Antworten, die solide wirken; sagt Dinge, die logisch sind; kommuniziert mit Menschen, nicht nur mit Funktionären; wirkt selbst wie ein normaler Mensch; ist eitel genug, um gut dazustehen. Da unterscheidet er sich radikal vom Vorgänger und einigermaßen vom oben genannten Mitbewerber.

Was mich allerdings verwundert: dass die Bevölkerung überhaupt noch auf derart unspektakuläre Veränderungen im Personal der Republik anspricht, dass nicht nur rechte Redner, skurrile Milliardäre, freche Newcomer Wähler einsacken können. Das Volk ist vielleicht doch noch willens, auf den Typ Merkel zu reflektieren, auf Gelassenheit und Erfahrung.

Angela Mitterlehner? Nicht ganz. Man wird sehen.

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