Stefan Grissemann: Milizbrand

Stefan Grissemann: Milizbrand

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Ausgerechnet ein Rockkonzert hat die Terroristengruppe, die am Freitagabend vorvergangener Woche eine Blutspur durch Paris zog, als einen ihrer Hauptanschlagsorte gewählt – eine Show der kalifornischen Band Eagles of Death Metal. Zufällig? Sicher nicht. Es sei darum gegangen, so die Bekennerschreiben, in der „Hauptstadt der Unzucht und des Lasters“ einen Schauplatz zu finden, „wo Hunderte Götzendiener zu einem perversen Fest zusammengekommen waren“.

Ein Attentat also auch auf die „dämonische“ Rockkultur. Diese Idee ist alles andere als neu, sie erinnert an die 1960er- und 1970er-Jahre, als christliche Hardliner in rückwärts abgespielten Rock’n’Roll-Dokumenten (von den Beatles bis zu Led Zeppelin und Pink Floyd) ernsthaft satanische Botschaften vermuteten.

89 feige Hinrichtungen fanden Freitagnacht allein im Bataclan statt, in einem Konzertsaal, der mit seinen 150 Jahren schon ein historisches Monument darstellt. Und mit Geschichte hat der – erst ein paar Jahre alte – „Islamische Staat“ bekanntlich ein Problem: Mit Bulldozern, Sprengsätzen und Vorschlaghammer gingen seine Aktivisten vor Monaten bereits gegen die Ruinen der syrischen Oasenstadt Palmyra vor, versehrten die antike Kapitale Hatra ebenso wie einen fast 3000 Jahre alten assyrischen Palast im irakischen Nimrud. Im archäologischen Museum in Mossul schlugen sie wertvolle Statuen kurz und klein, in der lokalen Bibliothek verbrannten sie anschließend gleich noch Zehntausende Bücher. Das IS-Projekt der Vernichtung des kulturellen Erbes, all der „falschen Idole“, die man in Tempelanlagen und Schreinen erblickt, geht voran – und es zieht unbekümmert Werke christlicher, jüdischer und muslimischer Prägung in Mitleidenschaft. Der Prophet höchstpersönlich habe sie dazu ermächtigt, stellten die Islamisten fest, denn hier sei einst nicht Allah angebetet, lediglich „Götzendienst“ verrichtet worden.

Granaten können die Historie nicht wegbomben – sie greifen letztlich nur die Zukunft der Aggressoren an.

Die geradezu hysterisch gehegte Aversion gegen historische Relikte hat im Fall des IS allerdings tiefere Wurzeln: Um reinen Tisch zu machen und seine eigene Geschichtsschreibung beginnen zu können, muss man erst die Vergangenheit auslöschen. Die Mittel der Terroristen reichen dazu, bei aller Instant-Schockwirkung, naturgemäß nicht aus. Granaten können die Historie nicht wegbomben – sie greifen letztlich nur die Zukunft der Aggressoren an.

Aber die Ressentiments des IS sind nicht allein ins Gestern gerichtet: Die anarchische Satire des Magazins „Charlie Hebdo“, das im multiethnischen 11. Arrondissement, dem dichtest besiedelten Pariser Stadtteil, produziert wird, in dem sich auch das Bataclan befindet, wird ebenso verteufelt wie die hedonistische Popkultur. Nun wird man im Garagen-Rock der Eagles of Death Metal kein Weltkulturerbe erkennen wollen, aber die Tendenz ist deutlich. Gegen die Kreativität der reisenden, zeichnenden, textenden, musizierenden Ungläubigen hat der IS nur eines zu setzen: Vandalismus. Der antischöpferische und antisemitische Geist des neuen islamistischen Terrors (das Bataclan hatte jahrzehntelang jüdische Eigentümer, und die Eagles of Death Metal konzertierten unlängst erst in Israel) versteht sich als Maßnahme gegen den sittlichen Absturz, gegen die angebliche Dekadenz.

Zur Doppelmoral des IS im Umgang mit dieser Kultur gehört die Tatsache, dass die Terrormiliz ihren Krieg auch damit finanziert.

Von einem Foto „zweier zauselbärtiger Anhänger des ,Islamischen Staates‘, die mit Eifer und zwei Presslufthämmern Gebäudereste der Ruinen von Palmyra bearbeiteten, um das, was ohnehin schon gesprengt worden war, weiter zu zerkleinern“, schrieb Axel Hacke unlängst in seiner Kolumne im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ – für ihn ein gültiges Destillat terroristischer Idiotie: „So sieht die Dummheit aus! Und müsste man ihr ein Denkmal setzen, sollte man dieses Bild insgesamt in Stein hauen: Zwei, die sich in höherem Dienste wähnen, zermeißeln in blöder Hingabe Reste einer jahrtausendealten Kultur.“

Zur Doppelmoral des IS im Umgang mit dieser Kultur gehört die Tatsache, dass die Terrormiliz ihren Krieg auch damit finanziert: Ihre Plünderung antiker Grabungsstätten dient immer wieder dem Antiquitätenverkauf unter der Hand – römische Mosaiksteine aus dem syrischen Apameia wurden ebenso wie jahrhundertealte Manuskripte und Bücher bereits verhökert. Dabei laufen ausnahmsweise keine Videokameras mit, obwohl die Schergen des Islamischen Staates so verzweifelt gesehen und wahrgenommen werden wollen. Denn die einzigen westlichen Kulturinstitutionen, die der IS abgöttisch liebt, weil er sie dringender braucht als die Traummoscheen seines Kalifats, sind die zuverlässigen Verbreiter ihrer Blut- und Hassbotschaften: die Massenmedien.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.