Diese Steuerreform basiert auf Hoffnung und auf Ideologie

Christian Rainer: Auf Sand gebaut

Auf Sand gebaut

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Selten ist es ähnlich schwer, ein Urteil über ein politisches Vorhaben zu fällen – pardon, zu finden –, wie bei der anstehenden Steuerreform. Da überschneiden sich rotzig vorgetragene Verhandlungspositionen mit den nur zu erahnenden echten Zielkoordinaten. Die Parteichefs sind Getriebene: Einerseits sind sie Opfer eines selbst auferlegten Zeitdrucks, weil es offensichtlich darum ging, vor dem jeweils anderen in die Öffentlichkeit durchzubrechen, andererseits sind sie Handlanger ihres Machtfundaments, vor allem der Gewerkschaft bei Werner Faymann, in geringerem Ausmaß der Bünde und Länder bei Reinhold Mitterlehner. Unter diesem Druck erscheint unrealistisch, dass die Konzepte auch nur einer mathematischen Überprüfung auf Basis der derzeit verfügbaren Daten standhalten. Hinzu kommt freilich, dass diese aktuellen Zahlen Schätzungen der zukünftigen Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung sind, Momentaufnahmen von Wirtschaftsforschern, die angesichts der bedrohlich labilen europäischen Konjunktur – nochmals aus dem Gleichgewicht gebracht durch den Konflikt mit Russland – keiner Belastung standhalten.

Und schließlich und längst nicht abschließend: Bei zwei derart artfremden Regierungspartnern, die gemeinsam eine Mehrheit im Parlament finden müssen, sind die Ausgangspunkte von Verhandlungen zwangsläufig unendlich weit voneinander entfernt. Die SPÖ ist noch immer eine Partei der niedrig Verdienenden und wenig Vermögenden (die als Ausdruck von Ignoranz und Ressentiment dann dennoch FPÖ wählen). Die ÖVP vertritt Wähler, die zumindest nach höherem Einkommen streben, wenn sie es nicht ohnehin schon verdienen, oder als Unternehmer permanent um ihr Fortkommen kämpfen. Steuerpolitik ist vor allem Verteilungspolitik und neben Transferzahlungen deren wirksamstes Instrument. Kein Wunder also, dass die Positionen weit auseinander liegen.

Wie soll man dieses Chaos einordnen oder gar ordnen? Wir können zunächst ins Detail gehen und uns an Widersinn und Unzulänglichkeiten reiben. So sind die Berechnungen des SPÖ-Modells bei den Vermögenssteuern nicht plausibel, die angesetzten zwei Milliarden Euro nicht lukrierbar. Die ÖVP wiederum baut im luftleeren Raum, setzt die nicht weiter definierten Einsparungen mit zwei Milliarden Euro doppelt so hoch an wie die SPÖ. Beide Parteien behaupten, man könne eine Milliarde beim Steuerbetrug gewinnen – was den Verdacht nähren muss, dass derzeit grob fahrlässig gefahndet werde. Und beide Parteien setzen in ähnlichem Umfang auf eine nicht weiter begründete Erwartungshaltung, wenn sie rund eine Milliarde Einkünfte aus zusätzlichem Wirtschaftswachstum destillieren, das durch eben diese Steuerreform entstehen soll. Keynes würde schamvoll erröten.

Ein Urteil über die handwerkliche Qualität der vorgestellten Konzepte kann also lauten: Sie ähneln einander stärker, als der erste Blick offenbart. Beide bauen in erstaunlichem Ausmaß auf dem Prinzip Hoffnung – sie sind auf Sand gebaut.

Dieser Befund kann empören – manche Manager meinen, mit vergleichbaren Strategie- und Budgetkonzepten würden sie von ihren Eigentümern in Echtzeit auf die Straße gesetzt. Muss er aber nicht: Man kann diese Vorschläge auch als taktisch gewählte Verhandlungspositionen sehen – und die Qualität am Verhandlungsergebnis und dessen Umsetzung messen.

Erlauben wir uns daher noch den Blick auf die inneren Qualitäten dieser Steuerpläne. Gibt es eine Metaebene?

Durchaus. Komprimiert wie seit Jahrzehnten nicht offenbaren Sozialdemokratie und Christlichsoziale hier das, was gemeinhin Ideologie genannt wird oder auch Programm. Da werden Konturen sichtbar. Bei der SPÖ manifestiert sich die Haltung ungeschminkt in den Vermögenssteuern. Die kommen gleich doppelt vor, als Millionärsabgabe auf bestehendes Eigentum und mit nachgerade klassenkämpferisch hohen Tarifen auf Erbschaft und Schenkung. Nehmt den Reichen und gebt es den Armen (oder den Bürokraten)!

Vielleicht ein Zufall, wahrscheinlich aber doch auch ein Ausdruck von Gesellschaftspolitik: Vererbung innerhalb der Familie wird kaum privilegiert, blutigste Opfer dieses Modells wären die Kinder reicher Eltern.

Die ÖVP: Da liegt die Ideologie reziprok darin, dass der Finanzminister Vermögenssteuern vehement verweigert. Jeder Gedanke an Verteilung von ganz oben nach ganz unten fehlt dem Konzept (trotz statistisch erfasster Vermögensverschiebung zu den Reichen in der jüngeren Vergangenheit). Und ein Nebenaspekt, auch Ideologie: Die ÖVP will bei Transferleistungen und in der Verwaltung doppelt so viel sparen wie die SPÖ, will den Staat zurückdrängen.

Wenn uns an der Steuerdiskussion also etwas erfreuen darf, dann die Tatsache, dass hier endlich einmal unterschiedliche politische Ziele sichtbar werden. Ganz wertfrei.

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