Leitartikel von Sven Gächter

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Manchmal hat die Gier ein Gesicht, und der „Bild“-­Zeitung ist es zu verdanken, dass wir es nun kennen. Das Gesicht gehört einem gewissen Spiros Latsis, 63, dem laut „Forbes“ mit vier Milliarden Euro Vermögen reichsten Griechen. Der Reeder, Ölmagnat, Banker und Immobilienhai hält mit seiner EFG Group in beträchtlichem Ausmaß griechische Staatsanleihen, für deren Rückzahlung die von der Regierung in Athen beantragten EU-Gelder unter ­anderem verwendet werden sollen. Ein leidlich komplexer Sachverhalt, den „Bild“ für sein Massenpublikum griffig kondensiert: „Ab nächster Woche bürgt der deutsche Steuerzahler für einen griechischen Milliardär, macht ihm praktisch die Taschen voll.“ Die „Kronen Zeitung“ wiederum, ihrer eigenen Klientel verpflichtet, bewertet denselben Vorgang naturgemäß völlig anders: „Der Tycoon wird – nun, wo der Staatsbankrott abgewendet ist – nicht durch die Finger schauen, sondern darf schon bald seine satte Rendite einstreichen. Und das nicht zuletzt dank der Milliarden der ­österreichischen Steuerzahler.“

Der verschwenderische, unersättliche Grieche und die resteuropäischen Fiskalbüttel – dieses Drama steht derzeit ganz oben auf dem EU-Spielplan, und es sieht nicht so aus, als werde es demnächst wieder abgesetzt, im Gegenteil: Die Spanier, die Portugiesen und die Italiener könnten sich die Schurkenrolle des notorisch über seine Verhältnisse lebenden Südländers bald mit den Griechen teilen. Die Nord­medien starten bereits hektische Straßenumfragen. „Für so große Finanzspritzen habe ich grundsätzlich kein Verständnis“, gibt Gerhard Kendlbacher aus Salzburg in der ­„Krone“ zu Protokoll. Christos Nicolopoulos (sic!) aus Graz sekundiert im „Kurier“ grimmig: „Keine Hilfe! Erst müssen die Griechen selbst ihre Hausaufgaben erledigen.“

Kann man es ihnen verdenken? Muss man von normalsterblichen EU-Bürgern – vulgo Steuerzahlern – uneingeschränktes Verständnis für makroökonomische Krisenzusammenhänge erwarten, die sie nach ­eigenem Ermessen persönlich nicht verschuldet, nun aber nachhaltig auszubaden ­haben? Ist es naiv oder sogar frivol und asozial, dem Geld nachzutrauern, das einem, noch ehe man es verdient hat, von maroden Staaten schon wieder aus der Tasche gezogen wird? Es ist zumindest legitim, eine solche Sicht der Dinge zu vertreten, wenn selbst die institutionell berufenen Krisenmanager in Wirtschaft und Politik dieser Sicht der Dinge oft nicht mehr entgegenzusetzen haben als Über­forderung und Uneinigkeit. Fatal wirkt dabei der Eindruck, dieselben Kräfte, die nun fieberhaft an der Behebung des Chaos arbeiten, hätten dessen Zustandekommen in Wahrheit mitzuverantworten – sei es aus langjähriger Ignoranz, sei es aufgrund fahrlässiger Fehlleistungen.

Der westhemisphärische – und somit privilegierte – Mensch taumelt seit zwei Jahren von einem Schockzustand in den nächsten. Die Permanenz der Angst war für ihn bislang ein weitgehend unbekanntes Lebensgefühl, und er wehrt sich dagegen mit dem Wenigen, was ihm schwerlich auch noch genommen werden kann: Wut oder Ohnmacht, wobei die Grenzen durchaus fließend sind. Zwischen den verzweifelten Demonstranten in Athen und den wütenden Steuerzahlmeistern anderswo in Europa gibt es keine wesentlichen Unterschiede, was die akute Bewusstseinslage betrifft.

Wie viel Krise vertragen wir noch? Dass niemand auf diese Frage eine qualifizierte Antwort weiß, ist Teil einer Misere, die in der „Süddeutschen Zeitung“ kürzlich als Systemproblem beschrieben wurde: „Das Bedrückende am Kapitalismus besteht doch darin, dass er sich längst nicht mehr als Mittel, sondern als Zweck begreift.“ Das „Handlungssystem“ Kapitalismus sei ausschließlich „auf die unbegrenzte Ausdehnung seiner selbst gerichtet“, der einzelne Mensch werde darin strikt auf seine Produktivfunktionen reduziert. Dieser Befund gilt gleichermaßen für das aktuelle Crash-Szenario – mit der Einschränkung, dass der Faktor Produktivität hier eine geradezu obszöne Umdeutung ­erfährt: Das System saniert sich, indem es seine System­erhalter ruiniert.

Dazu allerdings gibt es – so der breit abgesicherte Konsens – keine Alternative. Die „Süddeutsche“ beschwört emphatisch „die Utopie eines Kapitalismus, der wieder vom Zweck zum Mittel würde“ – was immer das im großen Ganzen, geschweige denn im Einzelnen, auch bedeuten würde. Bis zur Verwirklichung dieser Utopie, so unrealistisch sie im ­Übrigen erscheint, werden wir wohl noch sehr viel Krise aushalten müssen. Zur Linderung hilft es zwischendurch vielleicht, wenn man ihr ­wenigstens ein Gesicht geben kann – und sei es das eines „Griechen-Milliardärs“, der schamlos vom Steuerzahler nicht zuletzt auch in Österreich profitiert.

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Sven   Gächter

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