Der hässliche Deutsche ist Geschichte

Sven Gächter: Högschde Zeit!

Högschde Zeit!

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Das neue Deutschland hat viele Gesichter. Einige davon sind jetzt schon fix im kollektiven Kurzzeitgedächtnis abgespeichert. Das Gesicht von Bastian Schweinsteiger zum Beispiel: schmerzverzerrt, blutverschmiert und am Ende in Tränen aufgelöst vor Glück und Erschöpfung. Das verkniffene Gesicht von Manuel Neuer beim rabiaten Bodycheck gegen Gonzalo Higuaín. Das fast ungläubige Gesicht von Mario Götze nach seinem Tor in der 113. Minute, dem Treffer für die Ewigkeit. Das Gesicht von Mesut Özil bei der Pokalübergabe im Maracanã-Stadion: ein Inbild vollendeter Seligkeit nach den Rückschlägen und Selbstzweifeln der vergangenen Monate. Die kindlich verzückten Gesichter von Angela Merkel und Joachim Gauck beim staatstragend entfesselten Torjubel. Aber auch die feixenden Gesichter von Roman Weidenfeller, Shkodran Mustafi, André Schürrle, Miroslav Klose, Mario Götze und Toni Kroos beim Skandieren des Schmähliedes „So geh’n die Gauchos, die Gauchos, die geh’n so!“ vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

All diese Gesichter erzählen dieselbe Geschichte: wie Deutschland Fußball-Weltmeister und welches emotionale Energiefeld dadurch in Bewegung gesetzt wurde. Seit der WM 2006 im eigenen Land arbeiten die Deutschen mit der ihnen eigenen Gründlichkeit an einem Imagewandel, der zwar beim populärsten Sport unserer Zeit ansetzt, aber inzwischen weit darüber hinaus strahlt. Einen zentralen Teil der nationalpsychologischen Anstrengungen delegierte man an eine junge Generation von Fußballern, welche die allem geschichtsmächtigen Anschein zum Trotz offenbar tief verwurzelte kollektive Sehnsucht nach einer gewissen Schwerelosigkeit spielerisch einlösen konnte. Nicht dass man sich früher der hartleibig erkämpften Siege von Protzbrocken wie Lothar Matthäus, Stefan Effenberg oder Oliver Kahn geschämt hätte, aber die Freude war eher eine Ausgeburt des Trotzes als jener alters- und klassenübergreifenden Euphorie, die das fußballerische intelligent design von Neuer, Lahm, Hummels, Kroos, Götze & Co. heute auslöst – sogar in Ländern, deren Nationalteams bei der WM in Brasilien darunter schmerzlich zu leiden hatten.

Der hässliche Deutsche ist Geschichte, und niemanden freut das wohl mehr als ihn selbst – so sehr, dass er im Überschwang der geglückten Identitätskosmetik bisweilen dann doch wieder auf abgestandenen Klischeemüll ­zurückgreift und triumphalistische Anti-Gaucho-Schlachtgesänge anstimmt, die sich bei wohlwollender Betrachtung als postpubertärer Fauxpas erweisen: saudumm, aber lässlich.

Das wahre Gesicht des neuen Deutschland sieht anders aus. Es ist schon ein wenig zerknittert und trotzdem, wie man den Nivea-Werbeeinschaltungen entnehmen kann, immer noch spannkräftig. Seit dem 12. Juli 2006 ­arbeitet Joachim Löw, 54, als Bundestrainer mit der ihm eigenen Gründlichkeit am Redesign der deutschen Fußball- und somit Nationalkultur. Er entsorgte die unselige Blut-, Schweiß- und Rumpelästhetik, implementierte ­moderne Taktik-Expertise, beschleunigte das Tempo, steigerte die Risikobereitschaft und fuhr damit bei den Großturnieren 2008, 2010 und 2012 bemerkenswerte Spektakel-, wenn auch letztlich keine Titelerfolge ein. In Brasi­lien mischte er eine kräftige Dosis teutonischer Effizienz bei und krönte sein Werk mit der Weltmeisterschaft.

Löw ist die idealtypische Personifikation dessen, was Deutschland heute ebenso erfolgreich wie ungewohnt sympathisch macht. Seine Weltläufigkeit im Denken (und im Styling!) kontrastiert auf fast verstörende Art mit seinem Sprechduktus: Stimme eher hoch und quäkend, Akzent gnadenlos schwäbisch – die denkbar charmanteste Antithese zum zackig-preußischen Piefke, der in Österreich (und nicht nur hier) seit jeher das inkarnierte öffentliche Ärgernis darstellt. Das Auswärtige Amt in Berlin hätte im Fall einer groß angelegten Imagekampagne zur internationalen Wertschätzung deutscher Seins- und Lebensart keinen eigentümlicheren und zugleich perfekteren Markenbotschafter klonen können als Jogi „högschde Konzentration“ Löw.

Andererseits wird das offizielle Berlin ohnehin schon länger von einer Markenpersönlichkeit vertreten, die – zumindest nach außen hin – konsequent nach dem Motto Success by Bodenständigkeit operiert. Bundeskanzlerin ­Angela Merkel, 60, ist seit dem 22. November 2005 im Amt, knapp acht Monate länger als Löw. Die jüngere Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik als eine Parallelaktion zwischen Politik und Fußball zu sehen, erscheint auch deshalb ­verlockend, weil die Nationalmannschaft bekanntlich keinen treueren und honorigeren Fan hat als Merkel; ihre liebenswert ungelenken Jubelposen ­gehören mittlerweile zur nationalen Ikonografie. Der hässliche Deutsche hat sein ­Gesicht endgültig verloren. Die neuen Gesichter gehören Angie und Jogi. Man muss mit ­ihnen leben. Man kann es auch.

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Sven   Gächter

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