Sven Gächter

Sven Gächter Kick back

Kick back

Drucken

Schriftgröße

Es gab, so viel Toleranz muss sein, im kollektiven Chor der Bewunderung auch feindselige Stimmen. Eine ­davon gehörte einem gewissen marco36, der auf dem Debattenforum von orf.at vor schierer Weißglut nicht nur die guten Regeln des orthographischen Anstands über Bord warf: „Uli Hoeness und Rummelfliege sollen endlich die Wahrheit sagen was die mit dem ganzen Geld gemacht hatten!! Hoeness hatte 20 Millionen in der Schweiz verspekuliert die von ADIDAS zu verfügung gestellt wurden. Rummelfliege hatte Uhren im Wert von mehr als 75.000 Euro aus Katar nach Deutschland gebracht, es belegt das diese der Deutschen Finanz gemeldet werden sollte. Dies tat er nicht! Also Bayern auch im Skandal verwickelt!!!“, schäumte der Wut-User und legte damit immerhin den Verdacht nahe, dass seine Interessen über Fußball im allerengsten Sinn durchaus hinausweisen – wenn auch nur viereinhalb gestammelte Sätze weit. Die unverrückbare Essenz sparte sich marco36 für das Schlussverdikt auf: „Bayern ist und bleibt ein UNGUSTL Verein in Europa!!“

Den schlagenden Beweis dafür hatte der FC Bayern München in zwei Halbfinalspielen der Champions League geliefert, wo man so ungustiös gewesen war, dem traditionsreichen und im vergangenen Jahrzehnt unangefochten stilbildenden FC Barcelona mit 7:0 eine geschichtsträchtige Blamage beizubringen. 24 Stunden vorher hatte Münchens Erzrivale Borussia Dortmund Barças Erzrivalen Real Madrid aus dem Wettbewerb gekickt. Am 25. Mai kommt es deshalb im Londoner Wembley-Stadion erstmals seit Bestehen der Champions League zu einem rein deutschen Finale, und als wäre das nicht schon unerhört genug, ist auch noch eine weitere historische Weltpremiere zu erwarten: Es wird mitreißender, von allen preussischen Sekundärtugenden unseligen Angedenkens befreiter Fußball geboten werden.

Der atemberaubende Durchmarsch der beiden Bundesliga-Platzhirsche auf höchster Club-Ebene sorgte vergangene Woche zwischen Oder-Neiße und Rhein für einen Everest-verdächtigen Gipfeltaumel und im Rest des Kontinents für mehr oder minder zerknirschte Orgien der Ehrerbietung. Das Fußballwunder steht dabei nur – wenn auch besonders symbolkräftig – für einen fast schon verstörend perfekt funktionierenden Modellfall: „Deutschland ist der Superstar!“ – nicht nur in sportlicher, auch in politischer, ökonomischer und künstlerischer Hinsicht, wie Robert Treichler in der aktuellen Ausgabe darlegt. Kein anderes EU-Mitglied hat eine ähnlich breite und gewichtige Erfolgsbilanz vorzuweisen; in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist „Europas Motor“ („The Economist“) zum echten Global Player avanciert, nicht selten zum Leidwesen (und auf Kosten) anderer Global Player – und erst recht ­global nicht weiter konkurrenzfähiger Mitspieler.

Was kann man also von Deutschland lernen, wenn man von Deutschland lernen will? Diese Frage stellt sich mit ­besonderer Dringlichkeit in Österreich, wo man bekanntlich im Regelfall eher ungern von anderen lernt, im Zweifelsfall aber schon gar nicht von Deutschland. Das austriakische Selbstverständnis basiert seit jeher zu einem erheblichen Teil darauf, sich dem klischierten Piefke-Seinsmodus hoffnungslos überlegen zu fühlen. Man ist stolz auf alles, wovon man glaubt, es tauge zur markanten Abgrenzung von den ungeliebten großen Brüdern und Schwestern im Norden: Charme, Gemütlichkeit, Laissez-faire, Schmäh, Genuss- und Lebensfreude. Die Antithese dazu bildet das innig gepflegte Zerrbild all dessen, was als teutonische Gründlichkeit gilt.

Nichts gegen teutonische Gründlichkeit! Sie hat dazu geführt, dass der Nationalsozialismus in Deutschland, anders als in Österreich, schmerzhaft und nachhaltig aufgearbeitet wurde. Sie hat dazu geführt, dass die politische Kultur einschlägige Auswüchse, die hierzulande immer noch zur Tagesordnung, in manchen Kreisen sogar zur Raison d’être, gehören, schlechterdings nicht zulässt. Sie hat dazu geführt, dass Verantwortungs- und Entscheidungsträger in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt nicht jede Gelegenheit nutzen, die Institutionen, Regeln und Werte, denen sie, beispielsweise aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Europäischen Union, verpflichtet sind, zu ignorieren, zu verhöhnen oder zu verraten. Sie hat dazu geführt, dass öffentliche Debatten in Deutschland, bei aller zeittypischen Hysterisierung, immer das Bekenntnis zu einem Mindestmaß an inhaltlicher und sprachlicher Substanz durchscheinen lassen. Sie hat dazu geführt, dass die Gesellschaft sich der Chancen und Konsequenzen ihrer Internationalität bewusst ist, ohne Trost in selbstgerechtem Provinzialismus suchen zu müssen. Und sie hat dazu geführt, dass Bayern München und Borussia Dortmund heute einen schnellen, athletischen, kreativen, euphorisierenden Fußball spielen, um den die lange Zeit tonangebenden Clubs in Spanien, England und Italien sie unverhohlen beneiden.

Man kann eine ganze Menge von Deutschland lernen. Man sollte es auch.

[email protected]

Sven   Gächter

Sven Gächter