Sven Gächter

Sven Gächter Phönix aus der Tasche

Phönix aus der Tasche

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Auch früher wurde schon gern auf höchstem Niveau gestänkert. „I want my money back!“, skandierte Margaret Thatcher 1984 beim Treffen des Europäischen Rats in Fontainebleau gebetsmühlenmäßig, und die britische Premierministerin ließ keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen, jeden, der es wagen sollte, ihrer Forderung nicht anstandslos nachzugeben, eiskalt niederzuzwingen, zur Not auch mit der eigenen Handtasche. Thatchers Salbung zur „eisernen Lady“ ging nicht zuletzt auf diesen viel zitierten Eklat zurück, bei dem sie den umstrittenen „Britenrabatt“ und somit eine drastische Verminderung der Beitragszahlungen des Vereinigten Königreichs an die Europäische Gemeinschaft durchpeitschte. Zuvor hatte sie zentrale EG-Entscheidungen jahrelang beharrlich blockiert. Auf der Insel wurde Thatcher nach dem Fontainebleau-Gipfel gefeiert, als habe sie im Alleingang einen Krieg gewonnen.

In gewisser Weise hatte sie das auch, wobei es sich tatsächlich nur um eine Schlacht handelte: Der Krieg zwischen Großbritannien und dem Festland wogte in der Folge weiter hin und her und hat vergangene Woche ein neues Hitzestadium erreicht. In einer von langer Hand geplanten Grundsatzrede sprach David Cameron, Prime Minister of the United Kingdom, First Lord of the Treasury, Minister for the Civil Service, Resteuropa sein abgrundtiefes Misstrauen aus. Es gebe keine andere Möglichkeit, als die Briten selbst über den Verbleib in der EU entscheiden zu lassen, in Form ­eines „Rein-oder-raus-Referendums“, wie der konservative Regierungschef betont flapsig formulierte. Die kontinentale Aufregung fiel erwartungsgemäß vielstimmig aus. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius erklärte lakonisch, man werde Großbritannien den roten Teppich ausrollen – und zwar im Falle eines EU-Austritts. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann sprach von „unseriöser Politik“, und Italiens Ministerpräsident verbat sich jede Erpressung durch Cameron. Nur die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel agierte wie gewohnt – sie blieb gelassen und goss Wasser ins Feuer: „Ich wünsche mir, dass Großbritannien ein aktives Mitglied der EU ist.“

In Wahrheit gilt für David Cameron, was für die meisten, zumal konservativen Briten gilt: Die EU ist ihnen entweder schnurzpiepegal oder zutiefst verhasst – je nachdem, wie weit die Union gerade dem einzigen Ideal entspricht, das auf der Insel von Interesse ist: jenem einer schrankenlosen Freihandelszone zur gefälligen Selbstbedienung. Der hehre Gedanke, dass es unter den Mitgliedstaaten auch einen verbindenden Symbol- und Wertekanon jenseits einer rein kapitalistischen Nutzenrechnung geben sollte, wird bestenfalls als folkloristisches Pathos belächelt. Cameron liegt vollkommen richtig mit seiner Forderung, die EU müsse „offener“, „flexibler“ werden, dürfe nicht im Regulationswahn der Brüsseler Bürokratie erstarren – und dennoch erfüllen seine Argumente den Tatbestand angewandter Verlogenheit, weil er als nicht sonderlich erfolgreicher Premierminister zum einen nur machtpolitisches Kleingeld aus der tief verwurzelten EU-Phobie schlagen will. Zum anderen hat er Großbritanniens Lebensversicherung im Auge: das Wohl und Wehe des Finanzplatzes London, ohne dessen gigantische Umsätze die volkswirtschaftliche Bilanz des Landes katastrophal ausfiele. Nüchtern betrachtet hat das Vereinigte ­Königreich nach dem Zweiten Weltkrieg genau zwei namhafte Beiträge zur globalen Wertschöpfung geliefert: die Turbo­dynamik der virtuellen Geldvermehrung und die Popkultur. Letztere immerhin hält auch einer strengen Nachhaltigkeitsprüfung stand.

Was bleibt also von Camerons schneidigem Rein-oder-raus-Vorstoß? Vor allem der Hautgout eines populistischen Westentaschenmanövers, mit dem ein Regierungschef unter massivem Druck phönixgleiche Qualitäten zu entfalten hofft. Zweitens eine griffige Steilvor­lage für Polit-Polterer in anderen Ländern, die das Mütchen ihrer übellaunigen Klientel mit wohlfeilem EU-Ba­shing kühlen und noch weniger als Cameron an einer ernsthaften Diskussion über das Reformpotenzial der Europäischen Union interessiert sind.

Heinz-Christian Strache jedenfalls hat sich wie auf Kommando aus der Apathie der vergangenen ­Monate zurückgemeldet und die Themenverfehlung des Briten dankbar aufgegriffen: „Wenn die EU sich zu einem zentralistischen Superstaat entwickelt, würde als letzte Konsequenz für Österreich nur der EU-Austritt überbleiben.“ Und um die Drastik seiner Drohung zu veranschaulichen, skizzierte der FPÖ-Chef ein besonders drolliges Szenario: „Da wäre mir dann ein Bündnis mit der Schweiz lieber.“ Wenn das keine Kriegserklärung ist!

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