Sven Gächter

Sven Gächter Sendehals

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Die späten Dramen von William Shakespeare, insbesondere „King Lear“ und „Macbeth“, sind durch einen grimmigen Fatalismus gekennzeichnet: Jegliche Dynamik lässt sich auf das Prinzip der Intrige zurückführen, die Triebkraft aller handelnden Personen gilt ausschließlich der Vernichtung der Rivalen, notfalls um den Preis des eigenen Lebens. Deshalb ist die Bühne am Ende übersät mit Toten; es gibt keine andere Antwort auf das Chaos als die vollständige Zerstörung. Doch selbst die finale Leere hat nichts Tröstliches – keiner mehr da, der den Trost noch genießen könnte.

Die jüngsten Dramen im ORF sind durch einen trotzigen Fatalismus gekennzeichnet: Jegliche Dynamik lässt sich auf das Prinzip der Intrige zurückführen, die Triebkraft der führenden Personen gilt ausschließlich dem eigenen Überleben, in der Regel um den Preis der Ausschaltung aller ­Rivalen. Deshalb produziert der Küniglberg Untote am ­laufenden Band; es gibt keine schnellere Antwort auf das Chaos als noch mehr Chaos. Kann King Alex aus der Leere, die ihn umgibt, vielleicht ein wenig Trost schöpfen? Demnächst mehr in diesem Theater.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich hat sich an den Rand der Selbstauflösung manövriert, und sein Tagesgeschäft besteht mittlerweile zu einem beträchtlichen Teil darin, das Publikum nur ja nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Nachdem Alexander Wrabetz vorvergangene Woche seinen Informationsdirektor Elmar Oberhauser wegen flagranter Illoyalität hatte absetzen lassen, musste er vergangenen Freitag den Rücktritt seines Kommunikationschefs und engsten Vertrauten billigend hinnehmen: Pius Strobl war spätestens zu dem Zeitpunkt vollends untragbar geworden, als sämtliche Direktoren ihm öffentlich das Misstrauen aussprachen – ein Vorgang, der in seiner Beispiellosigkeit nicht hinreichend gewürdigt werden kann, weil der ORF sich inzwischen weitestgehend über beispiellose Vorgänge definiert. So forderten etwa die Journalisten der Aktuellen Fernseh-Information in einer Aussendung die baldige Neuwahl der Geschäftsführung, denn die amtierende (zumindest das, was noch von ihr übrig ist) habe in den vergangenen Monaten „mit dazu beigetragen, dass das Image des ORF massiv gelitten“ hat. Euphemistischer lässt sich die tiefe Kluft zwischen ­Redaktion und Entscheidungsträgern kaum beschreiben.

Es ist nicht nur zulässig, sondern dringend geboten, von der dramatischsten Existenzkrise in der über 50-jährigen Geschichte des ORF zu sprechen. Die Skrupellosigkeit, mit der die Politik – vor allem in Gestalt der noch tonangebenden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP – den Rundfunk nach Belieben missbraucht, gepaart mit Kumpanei, Dilettantismus und Kurzatmigkeit in der Geschäftsführung, bildet die denkbar räudigste Antithese zum hehren Bildungsauftrag der Anstalt und das denkbar schlechteste Rüstzeug für eine verschärfte mediale Wettbewerbs­situation (trotz des unermesslich komfortablen Startvorteils der Gebührenfinanzierung).

Generaldirektor Alexander Wrabetz erklärte kürzlich ­allen Ernstes, die ORF-Berichterstattung in österrei­chischen Zeitungen sei „eine Beleidigung von Tausenden Mitarbeitern und Dutzenden Führungskräften“. Von wem diese sich in ­allererster Linie beleidigt fühlen, stellten sie daraufhin ­ohnehin unmissverständlich klar.

In Wahrheit hätte Wrabetz längst zurücktreten und damit einen öffentlichkeitswirksamen Akt des symbolischen ­Widerstands setzen müssen: Unter den gegebenen Umständen sei eine seriöse Arbeit im Sinne des gesetzlich fest­geschriebenen Selbstverständnisses des ORF schlicht unmöglich – aus Rücksicht auf die Integrität des Hauses, aber auch aus Rücksicht auf die Würde der eigenen Person lege er diese Arbeit deshalb nieder, nicht um sich vor der Verantwortung zu drücken, sondern um einen skandalösen strukturellen Notstand offenzulegen. Tatsächlich aber hat ­Wrabetz seit der Kampfkandidatur gegen seine Vorgängerin Monika Lindner nicht an der Behebung, sondern an der Verwaltung dieses Notstands gearbeitet, taktisch geschickt zunächst, mittlerweile offenbar nur noch von dem Impetus getrieben, ORF-Generaldirektor zu bleiben, und sei es um den Preis tiefer Einsamkeit, vor allem aber um den Preis ­einer Beschädigung der Integrität des Hauses bis hin zur Irreparabilität.

Es könnte durchaus sein, dass Wrabetz Generaldirektor bleibt. Ebenso gut stünden in diesem Fall die Chancen, dass er damit endgültig zum Totengräber des ORF würde, weil die Politik keinen lebendigen ORF will – ehe sie ihn in die Unabhängigkeit entlässt, lässt sie ihn verkommen. Mit großem Erfolg, wie man sieht.

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