Sven Gächter Unzucht und Ordnung
Die französisch-italienische Komödie Ein Käfig voller Narren aus dem Jahr 1978 gilt, streng kunstästhetisch betrachtet, nicht als Meilenstein der Kinogeschichte. Was jedoch seine gesellschaftspolitischen Dimensionen betrifft, so jubelte der enorm erfolgreiche Travestieschwank seinem Publikum für die damalige Zeit geradezu gemeingefährlich subversives Gedankengut unter. Ein homosexuelles Paar, Betreiber eines Nachtclubs mit Drag-Queen-Shows, wird jäh aus seinem exaltierten Nischenidyll gerissen, als der fabelhaft normale Hetero-Sohn Laurent, den man zusammen großgezogen hat, erstens seine Heiratspläne bekannt gibt und zweitens den damit verbundenen Haken: Der Vater der Braut ist ein stramm konservativer Politiker mit der Heilsagenda Recht, Ordnung und Moral. Aus Rücksicht auf Laurents Liebesglück erklären sich die beiden Väter bereit, für ein gemeinsames Abendessen ein Ehepaar konventionellen Zuschnitts zu mimen. Es kommt, wie es muss: Der Mummenschanz sorgt für allerlei doppelbödige Situationskomik, und am Ende fliegt naturgemäß nicht nur der Kostümschwindel der einen auf, es kracht vor allem auch das kleinfamiliäre Lügengebäude der anderen in sich zusammen.
Vermutlich hat Justizministerin Beatrix Karl diese nicht weiter tiefschürfende Feel-good-Farce schon einmal gesehen (oder das Hollywood-Remake mit Robin Williams, Nathan Lane und Gene Hackman) und herzlich über jenen drolligen Tuckenschmäh gelacht, der selbst beim Villacher Fasching keinen Anstoß mehr erregt, aber im richtigen Leben hört sich der Spaß dann, bitte schön, irgendwann auf!
Vergangene Woche wertete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verbot der Adoption von Stiefkindern für Homosexuelle in Österreich als diskriminierend. Zwei lesbische Frauen hatten eine entsprechende Klage beim EGMR eingebracht. Ausdrücklich rügten die Richter in Strassburg zwar nur die Ungleichbehandlung gegenüber unverheirateten heterosexuellen Paaren, doch sie fachten damit eine seit Langem schwelende Diskussion neu an, in der es um die systematische Benachteiligung nicht heterosexueller Lebensformen per se geht. Besondere Starrsinnigkeit in dieser Disziplin legt bis heute die ÖVP an den Tag. Ihren erbitterten Widerstand gegen die Homo-Ehe, also die staatlich eingetragene Partnerschaft für lesbische oder schwule Paare, gab sie erst auf, als sie aufgrund der EU-Menschenrechtskonvention nicht mehr anders konnte und auch nur unter der Bedingung, dass keine Standesämter mit derlei unchristlich-devianten Vorgängen befasst werden.
Wo kommen wir denn sonst hin? Abendland in Homo-Hand!
In der Adoptionsfrage gibt man sich weiterhin so bockig, wie es die jeweils aktuelle europäische Rechtsprechung gerade noch zulässt. Ich setze jetzt einmal das Urteil um, erklärt Justizministerin Beatrix Karl in einem Kurier-Interview und bemüht sich gar nicht erst, ihre Schmallippigkeit zu überspielen. Namens der Volkspartei, die sich allen Ernstes immer wieder darüber wundert, warum sie für auch nur halbwegs urban sozialisierte Wähler so verheerend unattraktiv ist, fordert sie mit fast schon verzweifeltem Nachdruck, dass die Ehe etwas Besonderes ist und etwas Besonderes bleibt. Die Ehe müsse das Idealbild sein, wobei Karl den Begriff Ehe selbstverständlich als heilige Familiendreifaltigkeit Vater, Mutter, Kind ausbuchstabiert.
Was dieses Idealbild in der Realität taugt, zeigt ein Blick auf die jüngere Statistik. Seit 2001 liegt die Gesamtscheidungsrate in Österreich konstant und deutlich über 40 Prozent (2007 sogar bei 49,5 Prozent). Die Dysfunktionalität des überkommenen Sozialmodells Ehe ist somit ein amtlich beglaubigtes Massenphänomen. Sie lässt sich nicht dadurch aufheben, dass man unverdrossen ein retromantisches Idealbild beschwört. Geradezu aberwitzig jedoch wirkt vor diesem Hintergrund die Scheinlogik der ÖVP, wonach die Institution Ehe keiner akuteren und unnötigeren Bedrohung ausgesetzt sei als ausgerechnet jener durch gleichgeschlechtlich liebende Menschen, die auf der vollen Anerkennung ihrer Lebensform von Gesetzes wegen bestehen.
Die unerschütterliche Blockadementalität der ÖVP in diesem gesellschaftspolitisch brisanten Komplex wird intern wohl gern mit dem Stammtischargument abgetan, dass davon ohnehin nur eine Minderheit, noch dazu eine kleine und, samma si ehrlich, etwas verhaltensauffällige Minderheit, betroffen sei. Tatsächlich manifestiert sich darin ein sozusagen parteigenetischer Defekt: die standhafte Weigerung nämlich, in einer Gegenwart anzukommen, die komplexer, anspruchsvoller, aber auch bunter und unendlich viel spannender ist als der monokulturelle Lifestyle anno 1950. Im Sinne der behutsamen Horizonterweiterung wäre es schon ein Fortschritt, wenigstens den Sprung von Charleys Tante zum Käfig voller Narren zu schaffen.